Die hehren Ziele der EU und die Wirklichkeit Äthiopiens
Die "Strategie der Europäischen Union für Afrika" soll eine kohärente Politik gegenüber Afrika fördern. Sie stellt ein Novum dar, mit dem Europa sich weltpolitisch profilieren will. Die schwere politische Krise, die Äthiopien nach den "demokratischen Gründungswahlen" im Mai 2005 erschütterte, wurde zum Testfall für die neue europäische Strategie.
von Stefan Brüne
Als im Mai 1991 in Addis Abeba die von der Sowjetunion gestützte Herrschaft von Oberst Mengistu Haile Mariam zu Ende ging, war dies seitens der USA und der Europäischen Union (EU) mit der Hoffnung auf einen grundlegenden, auch demokratisch orientierten Neubeginn verbunden. Die neue, von der Tigray People's Liberation Front (TPLF) dominierte äthiopische Regierung brachte, international beraten, binnen kurzem eine neue Verfassung auf den Weg. Der Ende 1994 verabschiedete Text schien das Ende eines autoritär verfügten Entwicklungszentralismus zu markieren. Er sah den Übergang zu einer parlamentarisch kontrollierten Mehrparteien-Demokratie vor. Die Verfassung der Federal Democratic Republic of Ethiopia (FDRE) gilt als eine der modernsten der Welt.
Anderthalb Jahrzehnte später ist die Enttäuschung groß. Während Brüssel eine Verdoppelung öffentlicher europäischer Entwicklungshilfeleistungen in Aussicht stellt und das Ende 2005 verabschiedete Europäische Konzept über die Entwicklungspolitik alle außen- und entwicklungspolitisch relevanten EU-Akteure auf gemeinsame Ziele, Werte, Grundsätze und Verfahren verpflichtet, durchlebt Äthiopien ein Jahr der Gewalt. Als in Addis Abeba eine Million Menschen gegen vorgebliche Wahlfälschungen nach den Parlamentswahlen am 15. Mai 2005 demonstrieren, lässt Premier Meles Zenawi den Notstand ausrufen. Mehrere Dutzend Demonstranten werden erschossen und mehrere tausend manche Quellen sprechen von mehreren zehntausend Gefangene in dezentrale Lager verbracht. Wenige Wochen später verabschiedet der Europäische Rat im Dezember 2005 eine neue Strategie der Europäischen Union für Afrika. Diese fasst eine strategische Partnerschaft zwischen der Europäischen und der Afrikanischen Union (AU) ins Auge und beansprucht Frieden und Sicherheit, verantwortungsvolle und effektive Staatsführung einfordernd ein umfassender, EU-weit abgestimmter Handlungsrahmen für künftige Maßnahmen zur Unterstützung afrikanischer Staaten zu sein. Erstmals soll eine auf den ganzen afrikanischen Kontinent ausgerichtete Strategie die Grundlage für ein kohärenteres Süd- und Außenhandeln der EU und ihrer Mitgliedstaaten bilden.
Der nordostafrikanische Vielvölkerstaat Äthiopien, eines der ärmsten Länder der Erde, zählt seit Jahrzehnten zu den wichtigsten Empfängerländern internationaler Hilfe. Im Human Development Report des UNDP (2005) nimmt das agrarisch geprägte Land den achtletzten Platz ein. Für internationale Geber wie die Weltbank und die EU ist Äthiopien, dessen Regierung bis zu vierzig Prozent ihrer laufenden Ausgaben aus Hilfsgeldern bestreitet, das bedeutendste afrikanische Empfängerland. Allein 2005 beliefen sich die internationalen Hilfsleistungen auf eine Milliarde US-Dollar etwa die Hälfte stammte aus der Europäischen Union (EU).
Seine von innenpolitischen Konstellationen weitgehend unabhängige Position als Donor Darling verdankt Äthiopien dem Zusammenspiel mehrerer Faktoren. Neben unbestritten großem Entwicklungsbedarf und sicherheitspolitischen Beweggründen spielt dabei auch die geschickte Indienstnahme historisch-kultureller Faktoren eine wichtige Rolle. Das christlich geprägte Kaiserreich (1930 bis 1974) war neben Liberia als einziges nichtkolonialisiertes afrikanisches Land Mitglied des Völkerbundes und stand in europäisch-amerikanischer Wahrnehmung angesichts eines islamisch geprägten Umfeldes lange für Stabilität und kulturelle Nähe. Befördert wurden die guten Beziehungen zudem durch das Geschick der jeweiligen Machthaber, die Paradigmenwechsel der internationalen Donor Community flexibel nachzuvollziehen, ohne die eigene Machtbasis zu gefährden. Dabei gingen die strategischen Inszenierungen einer gekonnt in Szene gesetzter Kulissenpolitik häufig mit einem flexiblen außen- und sicherheitspolitischen Realismus einher. So verstand es das 1991 mit militärischen Mitteln an die Macht gelangte Regime geschickt, marxistische Rhetorik und Organisationsprinzipien mit einer pragmatisch ausgerichteten pro-westlichen Außenpolitik zu verbinden. Äthiopien zählte im Vorfeld des Irak-Krieges neben Eritrea, Uganda und Ruanda zu jenen vier afrikanischen Ländern, die die USA unterstützten, indem sie die Gewährung von Überflugrechten zusicherten. Angesichts seiner Größe und exponierten Lage am Horn von Afrika gilt das Land westlichen Sicherheitspolitikern als zuverlässiger Partner und bedeutender Stabilitätsgarant.
Begünstigt wurde ein zunehmend auf militärischen Optionen basierendes Sicherheitsdenken zudem durch die Ereignisse des 11. September 2001, in deren Folge sich die militärische Zusammenarbeit Äthiopiens mit den USA intensivierte. Zwar verzichteten Vertreter der EU auch weiterhin nicht auf öffentliche Kritik an der Menschenrechtspolitik des Regimes, aber die Rolle des Democracy Promoters trat erkennbar hinter der des International Security Agent zurück. Dabei spielte die von weiten Teilen der Diplomatie geteilte Auffassung, dass das Regime der Ethiopian People's Revolutionary Democratic Front (EPRDF) machtpolitisch auf längere Sicht ohne Alternative sei, eine wichtige Rolle.
Nachdem die ersten Mehrparteienwahlen im Jahr 1995 von einer zerstrittenen Opposition wegen Benachteiligung und eingeschränkter Betätigungsmöglichkeiten boykottiert und im Jahr 2000 heftig kritisiert worden waren, galten die Wahlen vom 15. Mai 2005 als "demokratische Gründungswahlen". Sie endeten, insbesondere in den urbanen Zentren, mit erheblichen Stimmengewinnen der Opposition. In der Hauptstadt Addis Abeba gewann die oppositionelle Coalition for Unity and Democracy (CUD) alle 23 Mandate. Als die Opposition wegen angeblicher Wahlfälschung zu Protesten aufrief, unterstellte Meles Zenawi Polizei und Sicherheitskräfte seiner persönlichen Kontrolle und verhängte für die Hauptstadt und Umgebung ein einmonatiges Demonstrationsverbot. Zwei Wochen später kam es auf dem Campus der Universität Addis Abeba erneut zu Protesten. Dabei gingen die in Tigray rekrutierten Spezialeinheiten der Agazi mit großer Härte gegen Steine werfende Demonstranten vor. über 40 Demonstranten fanden den Tod, mehrere Hundert wurden verletzt, mindestens 5000 Menschen verhaftet.
In dieser Situation war es der intensiven Vermittlungstätigkeit internationaler Wahlbeobachter (EU, AU, Carter Center) zu verdanken, dass sich Regierung und Opposition auf einen geordneten Überprüfungsprozess der 299 Wahlbeschwerden einigten und ihre jeweiligen Anhänger zu Ruhe und Gewaltverzicht aufriefen. Am 25. August 2005 legte die Leiterin der 200-köpfigen EU-Wahlbeobachterkommission und Abgeordnete des Europäischen Parlaments, Ana Gomez, einen vorläufigen Bericht vor, der kritischer als erwartet ausfiel. Die äthiopische Regierung reagierte in ungewöhnlich scharfer Form. In einer am 28. August im staatlich kontrollierten Ethiopian Herald veröffentlichten, mit persönlichen Angriffen durchsetzten Erklärung wies Meles Zenawi den Bericht in ungewöhnlich scharfer Form als "Müll" und "Lüge" zurück.
Als am 5. September das offizielle Wahlergebnis bekannt gegeben wurde die EPRDF gewann nahezu 70 Prozent der Mandate kam es erneut zu Unruhen, in deren Folge Regierungskritiker und Oppositionsführer gefangengenommen und wegen Hochverrats und versuchten Völkermords angeklagt wurden. Auch Monate nach den Wahlen dauerten die Proteste an. Die politische Lage blieb angespannt. Anfang November 2005 eskalierte die Situation erneut. Damit wurden auch Stimmen lauter, die einen Kurswechsel der Politik der Geberländer forderten.
In der Neuen Zürcher Zeitung vom 3. November 2005 brachte der Journalist Kurt Pelda das Problem auf dem Punkt: "Trotz der blutigen Unterdrückung bleibt Äthiopien vorerst ein Lieblingskind der ausländischen Entwicklungshelfer. Bisher hat noch niemand die Hilfe für Äthiopien einschneidend verringert. Die Geberländer scheinen sich nicht an ihre Vorsätze zu halten, laut denen Hilfe nur verdient, wer sich für Demokratie und gute Regierungsführung einsetzt."
Am 18. November 2005 brachte der republikanische Abgeordnete Chris Smith (New Jersey) im US-Repräsentantenhaus den Gesetzentwurf Ethiopia Consolidation Act ein. Er betonte zunächst, dass Äthiopiens Stabilität "unerlässlich für die US-Interessen in Ostafrika und im Nahen Osten" sei, fordert aber den Präsidenten dennoch auf, "alle gemeinsamen Sicherheitsmaßnahmen der US-Regierung mit der äthiopischen Regierung auszusetzen, einschließlich der Aktivitäten der US-Ostafrika Antiterrorismus Initiative", so lange die äthiopische Regierung die internationale Menschenrechtstandards missachtet.
Zur gleichen Zeit gab der Delegationsleiter der Europäischen Kommission in Addis Abeba, Tim Clarke, der äthiopischen Zeitschrift Capital ein längeres Interview. Darin unterstrich er unter Hinweis auf eine mit den USA abgestimmte Erklärung die Forderung, alle politischen Gefangenen freizulassen und die im Cotonou-Abkommen vorgesehenen politischen Dialogmöglichkeiten zu nutzen. Zur Stellungnahme der EU-Wahlbeobachterkommission befragt, erklärte Clarke, es handele sich um einen unabhängigen Bericht, der wichtig, aber weder für die Kommission noch für die EU bindend sei.
Am 27. November forderte die New York Times in einem Leitartikel zur Einstellung der Äthiopienhilfe auf. Die von Weltbank und UNDP gemeinsam geleitete, 17 Geber umfassende Development Assistance Group (DAG) erklärte am 11. November, ein Überdenken der Äthiopienhilfe auf Dauer nicht mehr ausschließen zu können.
Der kurze Rückblick macht deutlich, dass es im europäischen Kontext neben dem Europäischen Parlament zunächst vor allem die EU-Wahlbeobachterkommission war, welche die Menschenrechtsverletzungen und Übergriffe der äthiopischen Regierungsseite öffentlichkeitswirksam zu thematisieren suchte. Anders die Kommission. Für sie standen am machtpolitischen Status quo orientierte Gesichtspunkte regionenbezogener Terrorabwehr im Vordergrund wie für die Mehrzahl der in Addis Abeba vertretenen europäischen Botschaften. Zugleich spielte die Hoffnung, als neutraler Vermittler und durch pro-aktives Krisenmanagement einen Beitrag zur Wahrung "struktureller Stabilität" leisten zu können, eine wichtige Rolle. Erst als sich die Ereignisse zuspitzten und es zu Gewaltakten kam, fügten sich die Versatzstücke regionaler Stabilitäts- und einzelstaatlicher Interessenpolitik zu einer Art erzwungener, nun auch demokratische Defizite beklagender "Kohärenz", wenngleich zeitversetzt und nicht sofort alle EU-Staaten umfassend.
Nach anfänglichem Zögern schloß sich auch die Menschenrechtskommission der AU der internationalen Kritik an der Regierungsführung von Meles Zenawi an. Daraufhin stattete dieser dem für Entwicklung zuständigen europäischen Kommissar, Louis Michel, am 4. Februar 2006 einen, in dessen offiziellem Terminkalender nicht verzeichneten Überraschungsbesuch ab. Dem Vernehmen nach wurde Meles Hauptanliegen, die Fortsetzung der Hilfszahlungen für den Zeitraum von 2002 bis 2007 waren ursprünglich 461 Millionen US-Dollar vorgesehen , nicht entsprochen. Statt dessen erklärte Louis Michel, die gegenwärtige Situation sei in niemandes Interesse und die Wiederaufnahme des politischen Dialogs habe zur Voraussetzung, dass Oppositionelle so behandelt würden, wie es in demokratischen Staaten üblich sei. "Wir wollten nicht über Hilfe diskutieren. Das steht nicht auf der Tagesordnung, wir werden darüber sprechen, wenn der politische Dialog wieder aufgenommen worden ist."
Kurz darauf erklärte die britische Regierung, sie habe ihre für staatliche Empfänger bestimmten Äthiopienhilfen in Höhe von 88 Millionen US-Dollar ausgesetzt und wolle diese nun den Menschenrechten verpflichteten Basisorganisationen zur Verfügung stellen. Die sich überschlagenden Ereignisse hatten in Europa vor allem Tony Blair vor Entscheidungsnöte gestellt. Der nach den Enttäuschungen des Irakkrieges um Imagezugewinn bemühte britische Premier hatte Meles Zenawi im Vorfeld der britischen EU-Ratspräsidentschaft (1.Juli bis 31.Dezember 2005) in seine "Kommission für Afrika" berufen und die "Lösung der afrikanischen Probleme auf die internationale Agenda zu setzen" gesucht. Es war deshalb kein Zufall, dass die europaweiten Proteste äthiopischer und internationaler Regimegegner ihr Zentrum in London hatten.
Rückblickend wirft das Verhalten europäischer Politiker eine Reihe grundsätzlicher Fragen auf. Warum und woran ist der Versuch gescheitert, den öffentlich unterstrichenen Ansprüchen an gute Regierungsführung zur Geltung zu verhelfen? Hätte es Alternativen gegeben? Was waren auf europäischer Seite die Beweggründe für eine Politik, die von ihren eigenen Ergebnissen überrascht wurde? Hätte Europa vorausschauender und geschlossener und damit möglicherweise wirkungsvoller agieren können?
Das europäische Äthiopienengagement der Post-Mengistu-ära lebte lange von der Hoffnung, Anliegen, denen Normen zugrunde liegen wie die Förderung von Demokratisierungsprozessen und die Beachtung der Menschenrechte, mit klassischen Formen einzelstaatlicher und europäischer Interessenwahrnehmung verbinden zu können. Nicht demonstrative Verweise auf Machtpotenziale, sondern internationale Kooperation und die geduldige Förderung von Reformprozessen sollten die Voraussetzungen für langfristig angelegte Demokratisierungsprozesse schaffen, die begleitet werden von gezieltem capacity-building, also der Schulung von Schlüsselfiguren des Staates und der Zivilgesellschaft in Sachen Demokratie. Dabei konnten die EU und die Mitgliedstaaten auf ihre Bedeutung als bi- und multilaterale Geber und bedeutender Handelspartner Äthiopiens verweisen. Man wollte im Namen der Humanität agieren, ohne den Kontakt zum Realismus der Staatenwelt zu verlieren
Hilfreich schien zudem, dass die wirtschaftlichen und politischen Interessen einzelstaatlicher EU-Akteure nicht so ausgeprägt und bedeutend waren, dass sie einer europäischen Rolle als interessierter, aber neutraler Konfliktschlichter im Wege gestanden hätten. Die EU versuchte daher, idealpolitisch zu agieren, ohne dabei die wichtigste Regel der Realpolitik außer Kraft zu setzen: Sie übte normativen Druck aus und fühlte sich zugleich dem regionalen Kräftegleichgewicht verpflichtet, das sie als Unterpfand politischer Stabilität ansah.
Es zählt zu den Kennzeichen dieses, anfangs nur lose koordinierten europäischen Engagements, dass es nicht etwa herausragende wirtschaftliche Interessen, sondern vor allem sicherheitspolitisch motivierte Überlegungen waren, welche die Selbstansprüche der EU als democracy promoter hinter denen des international security agent zurücktreten ließen. Als infolge des 11. September 2001 das gesamte Horn von Afrika in den Antiterrorkampf einbezogen wurde, trat die Frage nach der innenpolitischen Legitimität der afrikanischen Partner aus geo- und realpolitischer high politics Perspektive ohnehin eine nachgeordnete Priorität noch weiter in den Hintergrund. Die EU vermied alles, was eine Destabilisierung ihrer staatlichen Partner hätte befördern können.
Es entsprach dieser Interessenlage, dass die Äthiopienberichterstattung europäischer Botschaften lange die alternativlose "Stabilität" des EPRDF-Regimes unterstellte. Der Schock, den die massiven Stimmenverluste der EPRDF innerhalb der diplomatischen Kreise auslöste eine hochrangige europäische Diplomatin wertete den Ausgang der Wahlen intern als Katastrophe gründet indes nur zum Teil in der so nicht vorhersehbaren dramatischen Zuspitzung der Situation. Er verweist zugleich auf die Schwächen einer Wahrnehmung, die den Staat als wesentlichen Akteur betrachtet und die Bedeutung öffentlichen Unmuts und historisch verfestigter Handlungsmotive gering schätzt. Pointiert formuliert: Afrika demokratisiert sich nicht, indem es auf Normen gegründeten Programmen ausländischer Geber folgt, sondern indem durch reinigende Krisen befördert lokale Kräfte an Gewicht gewinnen. Sie verweisen oft auf Problemlagen, die politisch absichtsvoll tabuisiert waren und seit langem einer Lösung harren.
Das äthiopische Beispiel zeigt erneut, dass äußere Hilfe Demokratisierung und good governance unterstützen, nicht aber erzwingen kann. Zugleich ist unübersehbar, dass staatliche Gewalt und die Unterdrückung politischer Willensäußerungen auf Dauer keine Stabilität verheißen. Das Demokratisierungs-Stabilitäts-Dilemma wird das außenpolitische Handeln der EU in Äthiopien und Afrika auch in Zukunft begleiten. Die EU geht von der Annahme aus, Demokratisierungspolitik sei vorausschauende Sicherheitspolitik. Das trifft aber nur zu, wenn vorausgesetzt werden kann, dass die relevanten gesellschaftlichen Gruppen sich wirklich in einen Dialog einbinden lassen und innerhalb dessen auf Reaktionen verpflichtet werden können, die sich an bestimmte Regeln halten.
In Äthiopien war dies wegen der Kompromisslosigkeit eines diktatorisch agierenden Regimes nicht der Fall. Europas stillschweigende Akzeptanz einer Kulissenpolitik tat das ihre. Sie übersah, dass die äthiopische Regierung über beeindruckend professionelle Erfahrungen im Umgang mit internationalen Gebern verfügt und in der Vergangenheit vergleichsweise erfolgreich innereuropäische und internationale Koordinations- und Abstimmungsmängel für eigene Machtzwecke nutzen konnte.
Vor diesem Hintergrund erscheint die neue Afrikastrategie der EU in erster Linie als Instrument europäischer Selbstverständigung und erst in zweiter Linie als operative Strategie zur Erreichung der ins Auge gefassten Ziele. Europa will Zielkonflikte auf der Ebene der Politikformulierung verringern und eine Außen- und Afrikapolitik befördern, die in sich stimmig ist und alle strategischen Politikbereiche umfasst. Das macht integrations- und europapolitisch Sinn. Aber die neue Afrikastrategie der EU hat den Testfall Äthiopien nicht bestanden. Die EU hat weder eine eindeutige noch eine kohärente Position in der Krise bezogen. Solange es keine wirksam integrierte gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU (GASP) gibt, bietet also der Versuch kaum mehr als einen allgemeinen, wenig handlungsbindenden Referenz- und Orientierungsrahmen.
aus: der überblick 03/2006, Seite 50
AUTOR(EN):
Stefan Brüne
Stefan Brüne ist Professor am Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien (GIGA) in Hamburg.