Raum mit Aussicht
In vielen Ländern Afrikas war das Wirtschaftswachstum der letzten zwei Jahre besser als in Europa. Doch lag das meistens an äußeren Einflüssen und nicht an der eigenen Wirtschaftspolitik. Die noch aus der Kolonialzeit stammende einseitige Ausrichtung auf den Rohstoffexport hat die Entwicklung bislang eher gebremst. Künftig könnten die Rohstoffe aber die Finanzierung eines Neubeginns erleichtern.
von Eva-Maria Eberle und Jürgen Duenbostel
Afrika, das Schlusslicht der weltwirtschaftlichen Entwicklung, ein hoffnungsloser Pflegefall: Dieses Bild hat sich bei den meisten überhaupt an dem Kontinent Interessierten eingeprägt und regt kaum noch jemanden auf. Wer achtet da schon noch auf Fakten, die nicht so recht in dieses Bild passen? Im Jahr 2001 etwa verzeichnete Afrika ein Wirtschaftswachstum von 4,3 Prozent und - nach vorläufigen Zahlen - im Jahr 2002 immerhin noch über 3 Prozent (bei einem Bevölkerungswachstum von 2,4 Prozent). Welche Faktoren haben Afrikas Wirtschaftsentwicklung beeinflusst und werden sie künftig beeinflussen?
Schon beim ersten Blick fällt auf, dass man Afrika schwerlich als Einheit behandeln kann. Zu unterschiedlich sind die Länder und ihre wirtschaftliche Entwicklung. Kann etwa Äquatorialguinea als Musterland gelten, nur weil es in der Dekade nach 1990 ein durchschnittliches jährliches Wirtschaftswachstum von fast 19 Prozent verzeichnet hat und auch jetzt noch bei rund 16 Prozent liegt? Der wirtschaftliche Aufschwung ist schlicht dem Glücksfall zu verdanken, dass dort Öl gefunden und gefördert wurde.
Botsuana dagegen rangiert mit einem durchschnittlichen jährlichen Zuwachs von 2,3 Prozent in jener Dekade (2003 werden 4,8 Prozent erwartet) weit darunter, hat aber trotz häufiger Dürren seit Jahrzehnten eine stabile Wirtschaftsentwicklung mit positiver Handelsbilanz aufzuweisen. Das Land verdankt zwar auch Rohstoffen, nämlich Diamantenfunden gleich nach der Unabhängigkeit, ein Großteil seiner stabilen Wirtschaft, aber mindestens ebenso viel einer guten Regierungsführung, die in guten Jahren hohe Reserven für schlechte Zeiten angelegt hat. Botsuanas Devisenreserven pro Kopf sind die höchsten der Welt. Das Land könnte mehr als drei Jahre lang alle Importe damit bezahlen.
Nigeria wiederum hatte zwar auch Glück; es schwimmt sozusagen im Öl. Aber trotz dessen stehen an den Tankstellen stets lange Schlangen, weil es zu wenig Benzin im Lande gibt. Infolge schlechter Regierungsführung wird zu wenig Öl im Inland verarbeitet, und infolge des künstlich niedrig gehaltenen Benzinpreises wird jede Menge Kraftstoff ins Ausland geschmuggelt. Die Mehrheit der Bevölkerung Nigerias spürte von dem zuletzt 4 Prozent betragenden Zuwachs der Wirtschaft kaum eine Verbesserung der Lebensbedingungen, weil ein Großteil der Einkommen in die Taschen korrupter Eliten fließt.
So verliert, wenn man die Haupteinflussfaktoren betrachtet, auch das vergleichweise hohe Wirtschaftswachstum des gesamten Kontinents in den letzten zwei Jahren an Glanz. Das war nämlich nicht zuletzt dem guten Wetter in vielen Ländern zu verdanken, das zwei Jahre hintereinander die Ernten hoch ausfallen ließ. Die derzeitigen Dürren am Horn von Afrika und im südlichen Afrika sowie die katastrophale Landwirtschaftspolitik Simbabwes können schon im nächsten Jahr die Zahlen schlechter aussehen lassen. Günstig auf das Wirtschaftswachstum der vergangenen zwei Jahren hatte sich ferner in den Öl importierenden Ländern der vor dem Irakkrieg niedrige Ölpreis ausgewirkt. Wer aber kann schon darauf bauen, dass der auf Dauer niedrig bleibt? In Ländern wie Kenia oder Tansania, wo der Tourismus eine wesentliche Einnahmequelle ist, hat der Irakkrieg schon einen Einbruch gebracht. Und ein weiterer Terroranschlag könnte der Branche schnell einen Schlag versetzen, von dem sie sich nicht so schnell erholt. Ferner täuscht bei manchen Ländern die hohe Wachstumsrate, denn sie ist vor allem deshalb so hoch, weil die Ausgangsbasis so niedrig war.
Ohnehin wäre es falsch, sein Afrikabild zu sehr aus Statistiken herzuleiten. Malawi beispielsweise zählt mit einem Sozialprodukt pro Kopf von unter 200 US-Dollar im Jahr seit langem zu den allerärmsten Ländern der Welt. Wer aber in einem Jahr ohne Dürre durch Malawi fährt, sieht dort kaum hungernde Menschen. Viele Bewohner haben nämlich ein kleines Stück Land, auf dem dank des subtropischen Klimas das ganze Jahr über etwas zu ernten ist, von dem sie sich ernähren können. Selten allerdings fahren sie Überschüsse ein, die sie auf dem Markt verkaufen können. Produktion, die weder verkauft noch entlohnt wird, geht nicht in den Geldkreislauf ein und erscheint in der Statistik nicht als Teil des Sozialprodukts. Auch vom Großteil der im informellen Sektor erzeugten Güter und geleisteten Diensten erfährt das Finanzamt nie etwas, und entsprechende Daten tauchen in keiner Statistik auf. Andererseits bedeutet hohes Wirtschaftswachstum laut der Statistik noch lange nicht, dass es der Mehrheit der Bevölkerung besser geht. Wenn die Einkommen so ungleich verteilt sind wie in vielen Ländern Afrikas, wenn die Eliten sich allein bereichern und ihr Geld auf Auslandskonten schaffen, dann kann auch der beste Aufschwung die Massenarmut nicht lindern.
Trotz sehr verschiedener Einzeleinflüsse gibt es aber gemeinsame Faktoren, welche die Wirtschaftsentwicklung in den meisten Ländern Afrikas geprägt haben und zumeist heute noch prägen. Das ist insbesondere das Erbe aus der Kolonialzeit. Die Kolonialmächte haben sich kaum um Afrikas Binnenwirtschaft gekümmert. Sie haben die innerafrikanischen Produktionsstrukturen und Handelsnetze zu Versorgung der einheimischen Bevölkerung vernachlässigt und die dafür nötigen Transportwege verkommen lassen. Statt dessen erschlossen sie die Lagerstätten mineralischer Rohstoffe, legten Großplantagen zur Versorgung der "Mutterländer" an und bauten dafür Häfen und Transportrouten zu diesen Häfen. Waren für den Binnenmarkt wurden nun vorwiegend aus dem "Mutterland" importiert. Diese Verkehrswegestruktur wirkt nach. In manchen Regionen Afrikas kommt man noch heute schneller in andere Teile des Kontinents, wenn man den Weg über London, Paris oder Brüssel nimmt.
Aber haben nach der Dekolonisierung die Gründungsväter der unabhängig gewordenen Staaten diese vorwiegend auf den Rohstoffexport ausgerichtete Wirtschaftsstruktur korrigiert und wieder auf die Binnenentwicklung Afrikas gesetzt? Im Gegenteil, manche haben die Rohstofflastigkeit der Wirtschaft sogar noch verstärkt. Denn die Rohstoffpreise zur Zeit der Unabhängigkeit waren vergleichsweise hoch und brachten schnelles Geld in die Staatskasse, ohne eine neue, völlig andere Infrastruktur aufbauen zu müssen. Als weitere einfache Einnahmequelle erhoben die jungen Staaten schnell hohe Außenzölle. So schirmte sich jedes Land im Gegensatz zur verheißenen afrikanischen Einheit auch von der Wirtschaft seiner Nachbarn ab. Die Binnenländer hatten darunter von Anfang an zu leiden. Ob sie importieren oder exportieren wollten, stets wurde auf dem Weg vom oder zum Hafen kräftig abgeschöpft.
Gewiss haben manche Länder die Erlöse aus dem Rohstoffexport durchaus sinnvoll verwendet, etwa für den Bau von Schulen und Krankenhäusern. Und manche Staatschefs haben auch versucht, Importe durch heimische Produktion zu ersetzen. Größtenteils sind diese heimischen Produzenten aber nie wettbewerbsfähig geworden, sondern benötigten auf Dauer Subventionen vom Staat. Schuld daran waren nicht zuletzt Importzölle gegenüber den Nachbarländern. Denn der heimische Absatzmarkt ist in vielen Ländern zu klein, was die Stückkosten der Produktion in die Höhe treibt, zumal die importierten Maschinen infolge der Zölle teurer sind, wodurch die Herstellungskosten weiter steigen. So kam der Export verarbeiteter Waren kaum in Gang, konnte sich verarbeitendes Gewerbe nicht verbreiten.
In Westafrika kam erschwerend hinzu, dass die ehemaligen französischen Kolonien ihre gemeinsame Währung Franc CFA zu einem überhöhten Wechselkurs an den französischen Franc banden. So konnte zwar die Elite günstig in Paris einkaufen, die Waren heimischer Unternehmer aber waren für den Export viel zu teuer und konnten trotz der Importzölle häufig auch auf dem Binnenmarkt nicht mit importierten Waren konkurrieren.
Um die heimischen Produktionskosten überhaupt noch einigermaßen im Griff zu behalten, mussten die Löhne niedrig bleiben, zumal die Produktivität schlecht ausgebildeter Arbeitskräfte gering ist. Niedrige Löhne aber waren nur durchzusetzen, wenn die Arbeiter von ihrem Lohn wenigstens genug zu essen kaufen konnten. Also wurden die Lebensmittelpreise subventioniert, und die Bauern mussten ihre Überschüsse in den meisten Ländern zwangsweise zu niedrigen Preisen an die staatliche Aufkauforganisation abgeben. Welcher Bauer hatte da noch Interesse, große Überschüsse zu erzeugen? Wie konnte so eine moderne, produktive Landwirtschaft entstehen?
Mitte der siebziger Jahre tauchte plötzlich eine neue Finanzierungsquelle auf: Die Ölpreiserhöhung der Organisation der Erdöl exportierenden Länder (OPEC) hatte diesen so viel Geld in die Kassen gespült, dass sie es zu Hause gar nicht so schnell investieren konnten, sondern reichlich bei Banken anlegten. Aber selbst die Banken hatten Mühe, Investoren zu finden, die so viel Geld ausleihen wollten. Folglich boten sie den Entwicklungsländern großzügig Kredite zu günstigen Zinsen an - für den schnellen Aufbau einer Industrie. Und die hofften, Zinsen und Tilgungsraten später leicht mit den Erlösen aus dem Export von Waren aus den neuen Fabriken bezahlen zu können.
Doch es kam anders als gedacht. Die US-amerikanische Notenbank erhöhte Anfang der achtziger Jahre kräftig die Zinsen, um die Inflation der unter der Regierung Ronald Reagan überhitzten Wirtschaft und die ausufernde Verschuldung des Staatshaushaltes zu drosseln. Das trieb weltweit die Zinsen in die Höhe, und in Dollar eingegangene Schulden waren plötzlich - in der eigenen Landeswährung bemessen - erheblich höher. Die meisten Entwicklungsländer gerieten in den Schuldenstrudel: Sie konnten Zinsen und Tilgungsraten nur noch bezahlen, indem sie neue Schulden zu noch höheren Zinskosten machten. Das drückte den Wechselkurs der eigenen Währung. Um dringend benötigte Devisen zu verdienen, warfen die Entwicklungsländer mehr Rohstoffe auf den Weltmarkt, erzielten durch Überangebot aber immer geringere Preise, denn die infolge hoher Zinsen auch in die Flaute geratenen Industrieländer nahmen weniger Rohstoffe ab. Gleichzeitig wurde importierte Technik - in eigener Währung gemessen - für die Entwicklungsländer teurer und teurer.
Viele der neuen Fabriken erwiesen sich zudem als Fehlinvestitionen, weil die Industrieländer wegen ihrer Wirtschaftsflaute weniger importierten und sich zudem protektionistisch gegen Einfuhren abschirmten, die mit heimischer Produktion konkurrierten. Außerdem hatten manche Entwicklungsländer während der Kreditschwemme der siebziger Jahre so genannte weiße Elefanten errichtet, dem Prestige dienende Industrieprojekte, die mangels qualifizierter Facharbeiter und durchdachter Einbindung in die Gesamtwirtschaft nie richtig funktionierten.
Bankrott und nicht mehr in der Lage, eine an eigenen Interessen orientierte Wirtschaftsstruktur aufzubauen, gerieten viele afrikanische Länder nun in die Rolle des reinen Bittstellers. Bei einzelnen wird der gesamte Staatshaushalt überwiegend aus Entwicklungshilfe finanziert. So muss sich die afrikanische Politik mehr und mehr danach richten, welche Wünsche die Geber gerade haben. Ist die Europäische Union (EU) der bessere Geber für ein Land und bietet Handelspräferenzen für bestimmte unverarbeitete Waren, dann richtet man Handelspolitik und Wirtschaftsstruktur eben darauf aus, macht sich von der EU abhängig und folgt zwangsläufig deren Wirtschaftsflauten. Bieten die USA gerade bessere Konditionen, wie beim neuen Handelsabkommen AGOA (siehe Kasten), hängt man sich an Onkel Sam.
Paradoxer Weise ist es jetzt für manche afrikanische Staaten geradezu ein Glück, dass so viele Landsleute vor den schlimmen Lebensverhältnissen nach Europa, in die USA, in reichere Länder auf dem Kontinent wie Südafrika oder nach Nahost geflohen sind. Deren Überweisungen an die Familien zu Hause sind in einigen Ländern schon höher als die Entwicklungshilfe und zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor geworden (vergl. "der überblick" 3/2002). Solche Überweisungen sind nicht mit Konditionen für die Staaten verknüpft, stehen oder fallen aber mit der Migrationspolitik der reichen Länder.
Eine Reihe afrikanischer Staaten haben faktisch keine Hoheit mehr über ihre Finanz- und Wirtschaftspolitik. Sie müssen sich - überschuldet wie sie sind - die Politikleitlinien und den Staatshaushalt vom Internationalen Währungsfonds diktieren lassen. Regel sind dabei die Privatisierung von Staatsbetrieben, die Freigabe des Wechselkurses, der Abbau von Zöllen und Beschränkungen für Importe und dadurch stärkere Einbindung in den Weltmarkt sowie drastische Sparmaßnahmen bei den Staatsausgaben, verbunden mit Entlassungen von und Gehaltskürzungen bei öffentlich Beschäftigten.
Gewiss war die Staatsbürokratie in vielen Ländern Afrikas zu aufgebläht, schmarotzte an den wenigen produktiven Bereichen der Wirtschaft. Für viele Absolventen höherer Schulen war es attraktiver, eine Position im Staatsdienst anzustreben, als sich in einem unsicheren Wirtschaftsumfeld als Unternehmer selbstständig zu machen.
Zu wenige und unterbezahlte Staatsdiener aber sind auch eine Gefahr. Das öffnet der Korruption Tor und Tür, wenn ihr staatliches Salär nicht zum Leben reicht. Und wie kann die Staatskasse je saniert werden, wenn sich Zahlungskräftige leicht von den Steuern freikaufen können? Wenn schließlich der Staat nicht einmal seine Soldaten und Polizisten bezahlen kann, sind Rebellion und Staatszerfall nicht mehr fern. Wer aber will noch investieren oder privatisierte Staatsbetriebe übernehmen, wo die Staatskontrolle weitgehend entglitten ist und Warlords, die Kriegsfürsten, um den Zugriff auf die nur noch verbliebenen Rohstoffe kämpfen?
Allerdings gibt es offenbar auch krisensichere Branchen und sogar afrikanische Investoren, die trotz oder wegen der Krise des Kontinents erfolgreich sind: South African Breweries (SAB) hat inzwischen die privatisierten größten Brauereien in zahlreichen afrikanischen Ländern übernommen, hat sogar die US-amerikanische Miller-Brauerei gekauft und ist so zum zweitgrößten Braukonzern der Welt aufgestiegen.
Auch andere Investoren könnten auf dem afrikanischen Kontinent künftig wieder erfolgreich sein - gerade weil Afrikas Wirtschaft immer noch so rohstofflastig ist. Wenn nämlich die Volkswirtschaften in Asien weiter wachsen und die Mittelschichten in China und Indien sich mehr Autos und Haushaltsgeräte leisten und dort mehr Hochhäuser, U-Bahnen und Schnellstraßen gebaut werden, dann werden der Weltrohstoffverbrauch und mit ihm die Rohstoffpreise gewaltig ansteigen. Und wenn in China mehr Menschen Fleisch essen und das Land deshalb Futtergetreide aus den USA, Lateinamerika und Europa importieren muss, dann werden auch keine hochsubventionierten landwirtschaftlichen Überschüsse mehr zu Dumpingpreisen in Afrika verschleudert und dort das Entstehen einer eigenen modernen Landwirtschaft unmöglich machen.
Mit besseren Preisen für Rohstoffe und landwirtschaftliche Erzeugnisse bekäme Afrika eine neue Chance, die Entwicklung der Binnenwirtschaft zu finanzieren, einen gesamtafrikanischen Binnenmarkt oder wenigstens regionale überstaatliche Binnenmärkte zu schaffen. Gut 800 Millionen Einwohner bieten riesige Absatzchancen, wenn genügend von ihnen Arbeit und Einkommen haben. Doch das müssen die Machthaber auch wollen, und sie müssen ernst machen mit der afrikanischen Einheit und eine gemeinsame Wirtschafts- und Investitionspolitik entwickeln. Sie müssen vor allem aufhören, in die eigenen Taschen zu wirtschaften, sondern im Interesse ihrer Völker regieren. Das wäre - von wenigen Ländern abgesehen, die schon lange eine gute Regierungsführung haben - ein wirklicher Neubeginn.
Börsen in AfrikaHoch im KursZwei afrikanischen Börsen verzeichneten im Jahr 2002 weit bessere Kurssteigerungen als die meisten anderen Börsen der Welt. An der tansanischen Börse stiegen die Kurse um 40 Prozent (in lokaler Währung). Die Börse in Botswana konnte mit Steigerungen von 32 Prozent glänzen. Auf dem afrikanischen Kontinent gibt es inzwischen 18 Börsen - vor zehn Jahren waren es noch zehn. Die kleinste und neueste ist in Kampala (Uganda). Seit vier Jahren und mit nur fünf an der Börse notierten Unternehmen und anfangs nur drei Börsianern soll den Ugandern das Aktiengeschäft schmackhaft gemacht werden. Notiert sind zwei kenianische Unternehmen, East African Breweries und Kenyan Airways, die Bank of Baroda (Indien), das ugandische Bergbauunternehmen Uganda Clay Ltd. und British American Tabacco. Es gibt Pläne, dass Kenia, Tansania und Uganda eine gemeinsame Ostafrikanischen Börse ins Leben rufen und damit die Wirtschaft der ganzen Region stärken. Die Chancen stehen gar nicht schlecht, dass Uganda über die Börse (bei stabilem, soliden Wachstum) das Zugpferd wird. Schließlich ist Uganda eine der am stärksten wachsenden afrikanischen Wirtschaften, wenn auch die internationale Hilfe dazu stark beiträgt. Die älteste und erfolgreichste Börse in Afrika ist die von Johannesburg. Sie besteht seit 1887, notiert die Kurse von 472 Unternehmen. Knapp dahinter folgen die Börsen Ägyptens und Nigerias. Die größte Gefahr für die lokalen Aktienmärkte liegt in der Unbeständigkeit auf dem afrikanischen Kontinent. An der Börse in der Côte d'Ivoire etwa - einst die Drehscheibe und Regionalbörse für weitere sieben westafrikanische Länder - läuft nichts mehr, seit das Land vor drei Jahren in einen Bürgerkrieg gerutscht ist. eb |
AGOAWoher die Faser kommtDas Handelsabkommen Africa Growth And Opportunity Act (AGOA) wurde 2000 von den USA geschaffen, um gegen die Armut in Afrika vorzugehen. Die USA bieten damit afrikanischen Ländern südlich der Sahara die Möglichkeit, Waren zollfrei in die USA einzuführen. AGOA verspricht guten Erfolg bei der Armutsbekämpfung. Es bietet ausgewählten Ländern südlich der Sahara für rund 6500 Warenkategorien zollfreien Zugang zum US-Markt. Ein Teil davon konnte allerdings schon unter den vorher bestehenden Vergünstigungen Most Favored Nation (MFN) und Generalized System of Preference zollfrei in die USA eingeführt werden, insbesondere Öl. AGOA öffnet jetzt den Markt auch für verarbeitete Produkte wie Textilien. Für AGOA können sich Länder qualifizieren, indem sie nachweisen, dass ihr Wirtschaftssystem sich auf eine Marktwirtschaft hin entwickelt, dass Rechtsstaatlichkeit herrscht, Handelsbarrieren gegenüber den USA beseitigt wurden, intellektuelles Eigentum (wie Patente, Lizenzen und Copyright) geschützt und die Korruption bekämpft wird, der Schutz von Menschenrechten gilt und (bestimmte Formen der) Kinderarbeit beseitigt werden. Im Januar 2003 konnten sich 38 Länder für AGOA qualifizieren. Allerdings weist AGOA auch Mängel auf. Dazu gehört die jährliche Frist, sich neu qualifizieren zu müssen sowie der befristete Zeitrahmen bis 2008. Außerdem gibt es die Auflage der USA, dass die Fasern für 97 Prozent der zollfrei exportierten Textilien und Kleidung aus den USA stammen müssen; nur 3 Prozent dürfen aus Fasern aus dem südlich der Sahara gelegenen Afrika bestehen. Außer Textilien sind auch andere wichtige Wirtschaftzweige Beschränkungen unterworfen wie Zucker, Tabak, Baumwolle, nicht-organische Chemikalien, Eisen und Stahl. Wenn man aber mit AGOA nicht nur das Exportvolumen Afrikas erhöhen, sondern auch Unternehmen dazu anreizen will, in Afrika zu investieren, dann wäre dazu längere Planungssicherheit als ein Jahr nötig. Die Exporterleichterungen, zumal wenn sie Direktinvestitionen zur Folge haben, könnten das Wirtschaftswachstum afrikanischer Länder beschleunigen. Für Afrika wird es gleichwohl schwer sein, mit anderen Entwicklungsländern zu konkurrieren, die infolge von Handelsabkommen mit den USA Zollvorteile auch genießen. eb |
Die afrikanische GroßfamilieRettung und LastWenn es Dir einmal wirklich dreckig geht, wenn Du arbeitslos geworden bist, wenn Dein Konto schon lange überzogen und gesperrt ist, wenn Du die Miete nicht mehr zahlen kannst, wenn der Gerichtsvollzieher den Kuckuck an die Tür geklebt und die Zwangsräumung vollzogen hat, wenn dann aus irgendeinem Grund das Sozialamt nichts zahlt, dann ist die Familie die letzte Rettung. Mutter und Vater werden Dir - ohne Bezahlung zu erwarten - selbstverständlich ein Bett bereitstellen und Dir bei den Mahlzeiten mit servieren. Und wenn Du keine Eltern mehr hast, wird die Schwester oder der Bruder dasselbe tun. Aber wenn Du weder Eltern noch Geschwister hast? Afrikaner sind da besser dran. Die Tante, der Onkel, die Cousine zweiten oder dritten Grades werden so einspringen wie Mutter, Vater, Bruder oder Schwester. Das ist selbstverständlich in Ländern, wo es keine oder kaum eine öffentliche Sozialversicherung gibt. Die Mitglieder der Großfamilie werden das fast freiwillig tun, denn eines Tages könnte es ihnen ja genau so gehen wie Dir. Und wenn es Dir nicht dreckig geht? Wenn die Großfamilie gesammelt hat, ihre letzten Ersparnisse zusammengekratzt hat, um Dir das Geld für einen Schlepper zu bezahlen? Wenn sie all ihre Hoffnungen in Dich investiert hat? Und wenn Du es dann auch geschafft hast, ein Aufenthaltsrecht im Westen zu bekommen und dazu noch eine legale oder illegale Arbeit und - wenn Du ganz großes Glück hast - überdies noch eine gute Ausbildung, und wenn Du dann zurückgekommen bist und einen guten Posten bekommen hast, kannst Du dann all das Geld für Dich behalten, das Du dann verdienst? Da ist die Cousine zweiten Grades, die gerade ihren Job verloren hat und nun das Schulgeld für ihre Kinder nicht mehr bezahlen kann. Da ist der Onkel, der einer Nichte, die ihre achtköpfige Familie mit ihrem Markthandel ernährt, dringend eine Transportmöglickeit besorgen muss, weil ihr uraltes Auto für immer zusammengebrochen ist und die bereits gekauften Früchte andernfalls für immer verrotten. Du hast doch zwei Autos zur Verfügung, nicht Deine zwar, sondern von einer NGO oder einer Unterorganisation der Vereinten Nationen, die sie Dir anvertraut haben. Kannst Du da hart bleiben und sagen, dass die Autos nicht Deine sind und Du nur Treuhänder bist für diese westlichen Institutionen? Du kannst. Aber dann kommt am nächsten Morgen Deine Mutter zu Dir ins Haus und sagt: "Junge, hast Du Deine Familie vergessen? Hat Dich das Ausland völlig verdorben?" Und schon bald hat der Minister Deine Beförderung unterschrieben (glücklicherweise kommt er aus Deinem Volk), Du bekommst mehr Einfluss und Gehalt - und Deine Firma oder Organisation sogar mehr staatliche Zuschüsse. Zwischen den Zeilen allerdings hat der Minister Dir eine kleine Gegenleistung nahegelegt: 80 Prozent der zusätzlichen Zuschüsse müssen auf sein Privatkonto zurück überwiesen und irgendwie anders verbucht werden. Sollst Du jetzt Deinen neuen Job riskieren mit all seinen nutzbringenden Wirkungsmöglichkeiten für Deine Organisation und Deine Familie? Oder wenn Du Erfolg hast als privater Unternehmer und gute Gewinne machst, kannst Du dann Dein Geld für Dich behalten und allein in die Firma investieren, kannst Du ein Herz aus Stein haben und die Familie darben lassen, die so viel für Dich getan hat? Nicht zuletzt die Großfamilie hat dazu beigetragen, dass die Gesellschaft in Afrika unter widrigsten Umständen überleben und funktionieren konnte. Sie ist aber gleichzeitig ein Hemmschuh für die Bildung eines ausreichenden Kapitalstocks, eines Kapitalstocks wie der, der eine kapitalistische Wirtschaftsblüte in Europa und den USA in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erst möglich gemacht hat. Man möchte Afrika nicht die Ausbeutung in den Fabriken Europas um 1850 und etwas später in den USA wünschen, auch nicht die Gewaltherrschaft eines Stalin, der russische Arbeiter und Bauern gezwungen hat, ihr Letztes zu geben, um gegen das drohende Hitler-Deutschland eine Schwer- und Rüstungsindustrie aufzubauen. Vielleicht findet Afrika ja einen eigenen Weg, die äußerst starken Bande der Solidarität der Großfamilie auf eine höhere Stufe zu heben, zu einer Solidargemeinschaft zu formen, die über die Großfamilie hinausreicht. Vielleicht gelingt es auch, all die Spargelder der zahllosen Spar- und Beerdigungsvereine (die in der statistischen Sparquote kaum erfasst sind) nicht nur sicher zu vergraben, sondern auf vertrauenswürdiger höherer Ebene anzulegen und damit für produktive Investitionen bereitzustellen. Afrika hat noch ein großes, nicht ausgeschöpftes Potential an Kapital, das zu Nutzen einer größeren Gemeinschaft als der Großfamilie investiert werden kann. du |
aus: der überblick 03/2003, Seite 57
AUTOR(EN):
Eva-Maria Eberle und Jürgen Duenbostel:
sind Redakteure beim "überblick"