Über Vergangenheitsbewältigung in Südtirol
Italiens Inflation und Hochzinspolitik machten vor 20 Jahren Hunderte südtiroler Hotelbetriebe zahlungsunfähig. Mit einem Sondergesetz rettete das Land Südtirol sie vor dem Konkurs. Begründung: Sie hätten sich "unverschuldet verschuldet". Solch mildernde Umstände macht Südtirol auch für seine Geschichte geltend.
von Florian Kronbichler
Jüngst hat der Landskommandant des Südtiroler Schützenbundes, Paul Bacher, einen bemerkenswerten Ausspruch getan. Er sagte in einem Interview: "Heimatbewusst kann man auch sein, wenn man nicht rechtsradikal ist." In jedem demokratisch gespürvollen Land würde so ein Sager entrüsteten Protest hervorrufen. In Südtirol wurde er als politische Aussage hingenommen: Der höchste Repräsentant eines Vereins, dessen Zielsetzung die Wahrung tirolischer Identität und Traditionen ist, hat zugestanden, dass politisch vernünftige Menschen auch aufrechte Südtiroler sein können. "Können", wohlgemerkt.
Für die richtige Wertung des ungeheuerlichen Satzes seien die Umstände erklärt, unter denen er gesagt wurde: Der Südtiroler Schützenbund versteht sich als "Wahrer der politischen und religiösen Identität" des Landes. Sein Hauptanliegen ist die Erhaltung der deutschen Sprache. Des "Deutschtums", um es nach der Sprachregelung der Schützen zu sagen. Das "Deutschtum" ist das politische Anliegen, seit der südliche Teil des ehemalig habsburgischen Kronlandes Tirol, eben Südtirol, mit der Zerschlagung der österreichisch-ungarischen Monarchie im Jahr 1919 Italien zuerkannt wurde.
Die Schützen fühlen sich auch heute noch berufen, diese Teilung Tirols als unrechtmäßig zu beklagen. Sie bezeichnen die Brennergrenze als Unrechtsgrenze und Italien als Besatzungsmacht. Ihr Selbstverständnis ist das eines politischen Kampftrupps, was sie gelegentlich in Konflikt mit ihren Kameraden im österreichischen Teil Tirols und in Bayern bringt. Diese verstehen sich ganz unverkrampft als Traditionsvereine. Südtiroler Schützen empfinden schon allein diese Bezeichnung als beleidigend. Traditionsverein riecht hier nach Folklore, als im Dienst des Tourismus stehend, und genau das wollen Südtiroler Schützen nicht sein. Sie verstehen sich in einem kulturpolitischen Auftrag.
Genau dieses Selbstverständnis bringt es mit sich, dass der Südtiroler Schützenbund latent riskiert, Exerzierfeld für nationalistische und allgemein rechtsradikale Elemente zu sein. Die Südtiroler Volkspartei (SVP), Sammelbewegung der deutsch- und ladinischsprachigen Südtiroler, ist als Regierungs- und Verwaltungspartei zwangsläufig zu pragmatisch ausgerichtet, als dass ideologische Fanatiker darin eine große Rolle spielen könnten. Die paar vorhandenen Rechtsparteien ("Die Freiheitlichen" und "Union für Südtirol") wiederum sind zu unbedeutend, um dem Ehrgeiz völkischer Hetzer zu entsprechen.
Bleibt der Schützenbund: offiziell überparteilich, ideologisch national-konservativ ausgerichtet, seinem Aufbau nach straff bis militärisch organisiert. Wem "die Partei" zu lasch ist, zu kompromisslerisch, der findet bei den Schützen ein dankbares Betätigungsfeld. Die Südtiroler Rechtsradikalen-Szene gedeiht weitgehend im und um den Schützenbund. Erst jüngst flogen neonazistische Jugendgruppen auf. Ihre Anführer waren Schützen. Der Kulturreferent des Schützenbundes musste zu Beginn dieses Jahres den Hut nehmen, weil er einen rechtsradikalen Ex-Bundeswehroffizier als Ausbilder engagiert hatte. Er tat es getreu dem Befund seines Landeskommandanten: "Heimatbewusst kann man auch sein, wenn man nicht rechtsradikal ist". Nur: Im Zweifelsfall besser rechtsradikal.
Es ist bezeichnend, dass Rechtsradikalen, Nationalisten, Rassisten, ja Gewalttätern kein Patriotismusnachweis abverlangt wird. Das ist so, seit Südtirol besteht, will heißen: seit Ende des Ersten Weltkriegs. Es ist die Geschichte eines Opfersyndroms, das besagt: Am Anfang stand das Unrecht. Uns geschah Unrecht. Wer sich in der Folge politisch verfehlte, tat dies aus Notwehr. Man kennt die zögerliche Abgrenzung gewisser Linksparteien und Gruppierungen gegenüber dem Linksterrorismus. "Genossen, die Fehler machen", hieß es vergebend. Was immer nationalistische Südtiroler verbrachen, es waren "Patrioten, die Fehler machen". Schuld war für links wie für rechts jeweils: "das System".
"Das System" war für das Südtirol der ersten zwanzig Jahre (1923 bis 1943) der italienische Faschismus. Dieser betrieb tatsächlich eine systematische Politik der Entnationalisierung seiner "neuen Provinz", schloss die deutschen Schulen, italienisierte die deutschen Orts- und Familiennamen, verbot jegliches tirolerische Brauchtum, schränkte die religiösen Riten ein und forcierte die Zuwanderung aus anderen Gebieten Italiens. Ziel war ein italienisiertes Südtirol, und was dem italienischen Faschismus allein nicht gelang, das sollte im Bund mit Nazi-Deutschland erreicht werden. Im Jahr 1939 schlossen Benito Mussolini und Adolf Hitler das Deusch-Italienische Abkommen zur Umsiedlung der Südtiroler, genannt "Option": Die Südtiroler können bis zum 31. Dezember 1939 entscheiden ("optieren"), ob sie die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen und folglich ins Deutsche Reich auswandern ("gehen") oder ob sie die italienische Staatsbürgerschaft beibehalten und also "bleiben" wollen.
Über 80 Prozent der damals 250.000 Südtiroler haben fürs "Gehen" optiert. Die Option war sicher eine Reaktion auf die Schikanen des italienischen Faschismus, jedoch auch Frucht massiver Propaganda durch Südtiroler Nazis. "Die Südtiroler sind Deutsche, wie der Führer noch keine gesehen hat." Das ist der Ausspruch des organisatorischen Kopfs des "Völkischen Kampfrings Südtirols", der heute noch eine bedeutende Stellung im Südtiroler Kulturleben einnimmt. Die Minderheit der "Dableiber", geschart um einige überzeugte Antifaschisten und den niederen katholischen Klerus, erlitt Schikanen von ihren nazistischen Landsleuten im Vergleich dazu waren jene durch den italienischen Faschismus harmlos.
Südtirol hatte in der 20-jährigen Ära des Faschismus (1923 bis 1943) insgesamt gerade drei politische Morde zu beklagen. In den darauf folgenden zwei Jahren der nazistischen Besetzung (in der deutschtümelnden Geschichtsschreibung noch lange Zeit später als Befreiung" bezeichnet) gab es zwanzigmal so viele Tote durch politische Verfolgung. Wegen des Kriegsausbruchs kam die Auswanderung bald ins Stocken. Schließlich wanderten von den 212.000 Deutschland-Optanten "nur" 75.000 aus. Vor allem Arbeiter und Besitzlose.
Nach Kriegsende und Befreiung vom Nazismus kam es sofort zur großen Verwirrung zwischen Tätern und Opfern. Es darf behauptet werden: Südtirol wurde zur Insel in Europa, in der es keine Entnazifizierung und keine Entfaschistisierung gab. Zwar bedurfte es der wenigen bekennenden Anti-Nazis, um die Region wieder politisch handlungsfähig zu machen. Ohne sie hätten die Alliierten Siegermächte die Gründung einer Südtiroler Volkspartei nicht zugelassen. So retteten die "Dableiber" dem Land den Status eines "Opfers" der nazifaschistischen Diktatur. Doch sie lieferten nur das Alibi. Die Führungsposten wurden bald von der "Wehrmachtsgeneration" übernommen. Das Trauma der Spaltung in Optanten und Nicht-Optanten, in Deutsche und "Walsche", wie es hieß, machte fortan die "Geschlossenheit der Volksgruppe" zum obersten Gebot.
Den nazistischen "Tätern" kam solcher Geschlossenheitsbedarf sehr zustatten. Für Vergangenheitsbewältigung fehlten die zwingende Notwendigkeit und wohl auch die Machtverhältnisse. "Net rogeln!" (Nicht rühren!), dieser Ausspruch von Silvius Magnago, selber Deutschland-Optant und später Vater der Südtirol-Autonomie, wurde über Jahrzehnte hinweg zum Imperativ aller Südtirolpolitik. Die Diagnose hieß: Volk in Not! Die Therapie: Zusammenhalten! Sich "nicht noch einmal" auseinander dividieren lassen! Die Option für Hitler-Deutschland wurde überhöht zur Notwehr gegen den italienischen Faschismus. Niemand war freiwillig gegangen. Alle gezwungenermaßen. Reinhold Messner, Südtirols kletternder Rebell, sagte 40 Jahre später (1980), "die Optanten waren Heimatverräter". Seither gehört es zur Südtiroler Bürgerpflicht, Reinhold Messner für übergeschnappt zu halten. Er brach das "Net-rogeln"-Gebot.
Das "Nicht-Rühren" funktionierte hier und galt sowohl für Deutsche als auch für Italiener. Italienische Faschisten hatten nach dem Krieg in ganz Italien die Verfolgung durch Partisanen und die von diesen beherrschten Parteien zu fürchten. Nur Südtirol, die Provinz Bozen, blieb von dieser Entfaschistisierung ausgespart. Das Ziel der Italienisierung dieser widerborstigen Provinz wurde auch vom demokratischen Italien ziemlich nahtlos fortgesetzt. Altfaschisten, denen in den roten Regionen der Boden zu heiß wurde, entzogen sich der Verfolgung durch Auswanderung" nach Bozen. Hier blieben sie unbehelligt. Dienten sie doch dem nationalen Ziel der Italienisierung. Vor allem Faschisten aus den ehemals italienischen Küstengebieten Jugoslawiens, denen Tito-Partisanen auf den Fersen waren, retteten sich ins "partisanenfreie" Bozen.
Dasselbe Spiel funktionierte ebenso und noch besser auf deutscher Seite. Niemand war mehr Nazi gewesen. Selbst die fanatischsten Hitler-Schreier hatten ein Alibi: Sie waren nicht für Nazi-Deutschland, sondern gegen das faschistische Italien. Nicht für Hitler, sondern gegen Mussolini. Also letztlich waren sie "Antifaschisten". Noch heute wird im Südtiroler Sprachgebrauch der Begriff Faschismus ausschließlich in seiner historischen, das Italien Mussolinis betreffenden Bedeutung gebraucht. Einen deutschen Faschismus? Gibt es nicht. Südtiroler Nazis bezeichnen - und fühlen - sich ausnahmslos als Antifaschisten.
Solche selbst erteilte Entschuldung bleibt nicht unentdeckt. Südtirol wird gleich nach dem Krieg zur Fluchtburg für Nazis und einschlägig kompromittierte deutsche Staatsbürger. Hier, im milden Klima der Kurstadt Meran, entziehen sie sich jeder strafrechtlichen und publizistischen Verfolgung in Deutschland. Gar manchen Nazi-Größen dient das geografisch wie politisch ideal gelegene Südtirol (vor der eigenen Haustür, deutschsprachig und doch Ausland, ungebrochen fortlebende Nazi-, das heißt: "antifaschistische" Ideologie) als Durchgangsrefugium. Von hier aus geht es über Genua weiter nach Südamerika, wo sie untertauchen. Andere wiederum lassen sich hier definitiv nieder und werden im noch tief agrarischen Südtirol zu unternehmerischen Pionieren. Als Beispiel dafür sei nur die Familie Mengele genannt.
Zugezogene Nazi-Flüchtlinge übernehmen schnell Führungsrollen im kulturellen und wirtschaftlichen Bereich. Was anderswo als nationalistisch, rechtslastig und allgemein politisch anrüchig gilt, ist hier nur "deutsch" und politisch korrekt. Südtirol wird zum Aktionsfeld aller deutschnationalen Eiferer. Deutsche Städte schließen Partnerschaften mit Südtiroler Orten. Treffender wäre der Begriff "Patenschaften". Die "Stille Hilfe für Südtirol" mit Sitz in München sammelt Spendengelder für Kindergärten und Bergbauern. Das "Kulturwerk für Südtirol", ebenfalls mit Sitz in München, sponsert den Wiederaufbau der deutschen Bildungs- und Kulturstrukturen. Vor allem Ostvertriebene, die ihrem Herkunftsland (weil inzwischen kommunistisch) nicht helfen können oder nicht helfen wollen, finden an Südtirol ein dankbares Objekt, ihr patriotisches schlechtes Gewissen abzuarbeiten. In Südtirol Urlaub machen wird zur patriotischen Pflicht und als Entwicklungshilfe fürs "verlorene Land" verstanden. Vermögendere Privatpersonen und Verbände ("Neue Heimat") kaufen sich im Land groß ein. Die Grundlage fürs Tourismusland Südtirol wird in den fünfziger Jahren mit eindeutig nationalen Absichten gelegt. Dass das clevere Südtirol später die italienischen Gäste, weil zahlungskräftiger und noch konsumfreudiger, genau so oder noch mehr bedienert, wird von vielen deutschen Südtirol-Urlaubern als Undank und volkstumspolitische Verluderung empfunden.
Der "Mutterkulturraum" verweigert seine Fürsorge selbstverständlich auch nicht, als in den späten 1950er-, Anfang 1960er Jahren es zu den bekannten "Südtirol-Attentaten" kommt: Anschläge auf Hochspannungsmasten und andere als "italienisch", also antisüdtirolerisch empfundene Einrichtungen. Die "Bumser" - das ist der lautmalerische Ausdruck für Sprengstoff-Attentäter - sind fast ausnahmslos junge Südtiroler Burschen. Geld, Know-how und Strategie kommen aber zu einem guten Teil aus Österreich und Deutschland. Deutsche Neonazis finden im "Südtiroler Freiheitskampf" ein dankbares Tummelfeld. Sie sind es auch, die dem anfänglich genuinen, an den antinapoleonischen Aufstand der Tiroler im Jahr 1809 erinnernden Guerillakampf der nachweislich drangsalierten und gefolterten Südtiroler die Unschuld nehmen. Aus Untergrundkampf wird Terrorismus. Zuerst werden Masten gesprengt, dann wird auf Menschen geschossen. Den Anfang machen "Pusterer Buam", ein bisschen idealistisch und sehr naiv, am Ende nehmen ihnen Agenten der deutschen Neonazi-Szene das Heft aus der Hand. Die Ausweitung des bewaffneten Kampfs zum Volksaufstand gelingt nicht. Die Bevölkerung folgt den Hitzköpfen nicht.
Strittig, und zwiespältig, bleibt die Bewertung dieses Südtiroler Revolutiönchens. Die Standpunkte unterscheiden sich bereits daran, wie unterschiedlich Akt und Akteure bezeichnet werden. Diese selber sowie ihre Sympathisanten, speziell jene im deutschen Ausland, sprechen von den "Südtiroler Freiheitskämpfern". Der "Kämpfer" wird wahlweise, besonders im Fall von Toten, auch Held genannt, also "Freiheitsheld". Wer von "Südtirol-Terrorismus" und "Südtirol-Terroristen" spricht, gibt sich als deren Gegner und als italienisch gesinnt zu erkennen. Distanziert ironisch, wenn auch nicht wirklich abschätzig gemeint ist der Ausdruck "Bumser". Gemeint sind die Männer, die "bums" machen, also schießen oder sprengen.
Die Biathlon-Weltmeisterschaft 2007 im südtirolischen Antholz hatte als Maskottchen einen Braunbären namens "Bumsi". Der Name wurde, weil einschlägig verstanden, in bundesdeutschen Medien als anzüglich kritisiert. Die Antholzer verteidigten sich, "Bumsi" sei weder sexuell noch südtirol-historisch gemeint, sondern einzig phonetisch. Es klinge halt "so geil". Die deutschen Kritiker verstanden die Verlegenheit und gaben sich mit der Erklärung zufrieden. Die diskreteste, politisch korrekteste Bezeichnung ist "Südtirol-Attentäter", und sie wird auch allseits akzeptiert. Doch wer seine Hochachtung für die Attentate und Attentäter nicht verbergen will, spricht von "Südtirol-Aktivisten", was politisch höchst verfänglich ist.
Denn waren die Südtirol-Attentäter Aktivisten in dem Sinn, dass sie einen aktiven Beitrag zur Lösung des Südtirol-Problems beigetragen haben? Dazu wiederum ein polemisches Reinhold-Messner-Wort: "Südtirol-Aktivist", sagte der einmal frech, "bin ich selber auch." Messners Einwurf ist Teil des Jahrzehnte alten Grundsatzstreits, ob Südtirol seine großzügige Autonomie-Regelung und somit seinen heutigen Wohlstand den "Bumsern" zu verdanken hat, oder ob diese, im Gegenteil, eher hinderlich dafür waren. Die Bumser-Kritiker vertreten den Standpunkt, es seien der damalige demokratische Umbruch in Italien, die Ära der Mittelinks-Regierungen, das Zweite Vatikanische Konzil, die einsetzende Europapolitik gewesen, die den Anstoß zu einer echten Autonomie für Südtirol gegeben hätten. Die Attentate hätten wohl ein bisschen Medienaufmerksamkeit für Südtirol gebracht, aber eher negative.
Ganz gegenteiliger Auffassung natürlich die Bumser-Fraktion, und sie dürfte die Mehrheit sein: Ohne die Attentate der 1960er-Jahre und "die Opfer der Aktivisten" wäre "die Welt" nie auf Südtirol aufmerksam geworden, wäre sein Problem nie vor die Vereinten Nationen gekommen. Italien hätte ungestört seine "Überfremdungspolitik" fortsetzen können. Teils aus Überzeugung, teils aus Pietät findet seit einiger Zeit eine offene Rehabilitierung der Attentäter statt, und zwar mehrheitlich und hoch offiziell. Die Mythenbildung ist voll im Gang, und für ihr moralisches Haupt, den sehr christlich motivierten Sepp Kerschbaumer, der an den Folterungen durch italienische Carabinieri starb, wird vermutlich sogar ein kirchliches Seligsprechungsverfahren in Gang gesetzt. Das wohlhabende, vor Selbstbewusstsein strotzende Südtirol will sich, 200 Jahre nach Andreas Hofer (Tiroler Freiheitskämpfer, der gegen die Truppen Napoleons kämpfte), offenbar einen neuen Gründerheros zulegen.
Die Verklärung der gewaltsamen Durchsetzung eines Rechts hat aber ihren Haken. Sie gerät in Widerspruch zu einem anderen Anspruch, den das moderne, autonome Land Südtirol erhebt: Es will Vorbild sein für Verwaltungsautonomie und Minderheitenschutz, wo überall in Europa Sprachminderheiten um Rechte kämpfen. Zu diesem Zweck dient es seine Autonomieregelung als Modell an, und zwar mit erheblichem propagandistischen Aufwand. Die Frage, die dabei nicht gestellt wird, ist: Wie vorbildhaft kann das Modell Südtirol sein, wenn es auf der Grundlage terroristischer Gewaltakte beruht?
Bislang ist uns Südtirolern die doppelzüngige Argumentation nachgesehen worden. Wir genießen auf eine gönnerische Weise Artenschutz: Ach, die armen Südtiroler! Doch wie rasch Sympathie in Feindseligkeit umschlagen kann, beweist ein Zwischenfall, zu dem es anlässlich des Sturzes der Regierung Prodi Mitte Februar dieses Jahres im römischen Senat kam. Ein Senator der Südtiroler Volkspartei verteidigte gerade die Regierungspolitik, da unterbrach ihn sein Senatskollege Francesco Cossiga, immerhin ehemaliger Staatspräsident, mit dem Zwischenruf: "Ich höre die Südtirol-SS reden". Cossiga, in Vergangenheit ein erklärter Südtirol-Freund und Südtirol-Urlauber, begründete hinterher seinen Anwurf sogar: "Die Südtiroler waren doch selber die fanatischsten Nazis und haben zu über 80 Prozent für die Auswanderung nach Hitler-Deutschland optiert." Nur um zu sagen: So schnell kann einen die Geschichte einholen, wenn man sie verdrängt.
aus: der überblick 01/2007, Seite 106
AUTOR(EN):
Florian Kronbichler
Florian Kronbichler lebt als freier Journalist in Bozen, Italien, und ist Autor eines Buches über Alexander Langer
("Was gut war", Bozen 2005).