Forschen für die Entwicklung zu Haus
Die Stipendiaten des Ökumenischen Studienwerkes stammen aus ganz verschiedenen Ländern und Kulturen. Fast alle gehen nach ihrem Studium in Deutschland in ihre Heimat zurück.
von Bernd Ludermann
Als Ho Trung Thong die Folie mit den Kürzeln für ein Dutzend Aminosäuren auflegt, geht ein Grinsen durch die Runde. Die Zuhörer ahnen, was ihnen bevorsteht. Sie haben von Lysine, Threonine und ähnlichem nie gehört und sich auch nie gefragt, von welchem Futter Schweine am besten Fleisch ansetzen. Ho weiß natürlich, dass seine chemischen Kürzel für sein Publikum böhmische Dörfer darstellen. Doch er grinst zurück, als wollte er sagen: Da müssen wir jetzt gemeinsam durch. Dann spricht er weiter. Und die anderen acht Doktoranden hören mit bewundernswerter Aufmerksamkeit zu, wie Ho eine volle Stunde Einzelheiten über die effizienteste Art der Schweinmast vorträgt.
Ho und seine Zuhörer sind Stipendiaten des Ökumenischen Studienwerkes (ÖSW). Sie erhalten ein Stipendium für eine Promotion über ein Thema, das für Entwicklungsfragen bedeutsam ist. Regelmäßig treffen sich die in Deutschland Studierenden ÖSW-ler aus den verschiedenen Ländern und Fächern und tauschen sich über ihre Forschungen aus. Die meisten, die jetzt nach Göttingen gekommen sind, befassen sich mit Agrarwissenschaft, mit der Ökologie der Tropen oder mit Fragen der ländlichen Entwicklung. Neben Vietnam und Kolumbien sind vor allem afrikanische Länder vertreten: Äthiopien, Kenia und der Sudan, Liberia und Guinea-Bissau.
Die Stipendiaten lassen Ho mit seinen Studien über den Stoffwechsel der Schweine nicht einfach davonkommen. Warum kann man das Soja und die Erbsen nicht direkt essen, statt sie an Schweine zu verfüttern, will ein Landsmann von Ho wissen. Da muss dieser die tierbiologische Grundlagenforschung verlassen und über Ernährung und ländliche Wirtschaft sprechen: Schweine liefern traditionell in Vietnam auch Dünger und Geld - die Bauern züchten und verkaufen sie unter anderem, um die Schulbildung der Kinder zu finanzieren. Außerdem kann das Fleisch exportiert werden. Wenn aber Kleinbauern ihre Schweine nur wie üblich mit Reiskleie füttern, werden die Tiere krank. Hos Formeln könnten da vielleicht weiterhelfen.
Auch Do Thi Lan, die ebenfalls aus Vietnam kommt, wird in der Diskussion nichts geschenkt. Sie untersucht, wie man die Anbautechniken eines Minderheitenvolkes im Bergland Vietnams verbessern kann, um Umweltschäden zu verhindern und das Einkommen zu erhöhen. Dabei legt sie großen Wert auf Analysen der Bodenbeschaffenheit und auf Messungen, wie viel Humus unter welchen Umständen vom Regen fortgewaschen wird. Die Bauern, so schließt sie, sollten vom Wanderfeldbau zu einer Agro-Forstwirtschaft übergehen und Hecken längs der Hänge pflanzen.
Stephen Kargbo aus Liberia findet diesen Ansatz zu technisch. Ihm fehlen genauere Untersuchungen über die sozialen Unterschiede zwischen den Bauern. Elageed Awatif aus dem Sudan schlägt in die gleiche Kerbe: Hat Do sich auch gefragt, wie denn die Bauern selbst die Erosion sehen und was sie bereits dagegen tun? Diese Debatte wirft ein interessantes Schlaglicht auf verschiedene Stile der Entwicklungs-Wissenschaft. Die beiden Vietnamesen gehen davon aus, dass Experten die Technik der Bauern verbessern müssen - sie richten den Blick auf deren Unkenntnis. Dagegen fragen die Afrikanerinnen und Afrikaner nach überlieferten Kenntnissen der Kleinbauern und verstehen die Wissenschaft von der ländlichen Entwicklung weniger als Technikforschung denn als partizipative Sozialforschung. Hat das mit kulturellen Unterschieden zwischen Afrika und Asien zu tun? Vielleicht auch das.
Aber Stephen Kargbo bietet eine näher liegende Erklärung: Viele Afrikaner, die mit einem Stipendium vom ÖSW hier promovieren, haben zuvor mit nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) gearbeitet. Er selbst hat zum Beispiel in Liberia in einer kirchlichen NGO mitgewirkt, die Kleinstkredite vergibt. Seit fünf Jahren ist er in Deutschland und war eine Zeit lang Sprecher der ÖSW-Stipendiaten. In seiner Dissertation will er für ausgewählte Länder die Erfolge und Fehlschläge solcher Kleinkreditprogramme vergleichen. Dagegen haben die Vietnamesen zu Hause als Dozenten an einer Universität gearbeitet. Außerdem hat in ihrem Fall der Staat ausgewählt, wer in Deutschland studieren kann; kritische, soziologisch orientierte Forschungen, vermutet Kargbo, wurden da eher benachteiligt.
Aber auch hinter dem technischen Ansatz von Ho und Do steckt Engagement für das eigene Land. Der schlaksige Ho erzählt, dass er selbst Sohn einer Bäuerin ist und die Probleme der kleinen Landwirte genau kennt. Auch Do verbindet eine persönliche Geschichte mit ihren Forschungen: Sie ist, obwohl ihre Eltern dem Mehrheitsvolk Vietnams angehören, in einer armen, von einer Minderheit bewohnten Bergregion aufgewachsen. Beide sind von den soziologisch orientierten Nachfragen etwas verwirrt, geben aber dann bereitwillig Auskunft, warum ihre Forschungen für Entwicklungsfragen bedeutsam sind.
Dies ist eine der Voraussetzungen dafür, vom ÖSW ein Stipendium für ein Studium in Deutschland zu erhalten. Die meisten Kandidaten haben ein Studium abgeschlossen und wollen sich fortbilden oder promovieren. Das ÖSW fördert sie jedoch nur unter eng gefassten Voraussetzungen. Das Programm, das kommendes Jahr von Bochum nach Bonn zieht und Teil des EED wird, dient in erster Linie dazu, kirchliche Partner, NGOs sowie kirchliche Universitäten und Schulen bei der Fortbildung ihres Personals zu unterstützen. Anwärter auf ein Stipendium können sich daher nicht selbst beim ÖSW bewerben, sondern müssen von ihrer Kirche oder Organisation im Heimatland vorgeschlagen werden. Eine Ausnahme sind bereits länger hier Studierende aus dem Süden, für die kirchliche Partner in Deutschland ein Stipendium beantragen können.
Auf keinen Fall will das ÖSW die Abwanderung von Fachkräften von Süden nach Norden begünstigen. Deshalb verlangt es eine Arbeitsplatzgarantie für die Kandidaten, erläutert Susanne Werner, die Hochschulreferentin des Studienwerks: Wenn eine Kirche oder NGO jemand zum Studium in Deutschland vorschlägt, dann muss sie erklären, auf welchem Arbeitsplatz der Fortgebildete danach eingesetzt werden soll und warum dazu die Fortbildung nötig ist. "98 Prozent unserer Stipendiaten gehen in ihre Heimat zurück", erklärt Werner.
Viele verlassen allerdings irgendwann ihren kirchlichen Arbeitgeber, wenn sie zum Beispiel beim Staat mehr verdienen. Dennoch ist das Programm ein Beitrag zur Qualifizierung der Kirchen und ihrer Entwicklungsarbeit, betont Werner: "Viele Absolventen werden zum Beispiel als Koordinatoren für Entwicklungsprojekte eingesetzt." Sie wünscht sich daher, dass mehr vom ÖSW Fortgebildete anstelle von Deutschen als Fachkraft im Süden vermittelt werden. Allerdings, so räumt sie ein, müsste man dazu die Nachkontakte besser pflegen: Das ÖSW verliert die meisten früheren Stipendiaten nach deren Heimkehr aus dem Blick.
Rund 100 Stipendiaten fördert das ÖSW; davon studieren etwa 60 in Deutschland, der Rest in anderen Ländern Europas oder nahe ihrer Heimat. Die größte Gruppe stammt aus Afrika, wo vor allem Kirchen oder NGOs Stipendiaten vorschlagen. Mehrere kommen aus Indonesien; hier fördert das ÖSW häufig Dozenten von kirchlichen Universitäten - zum Beispiel wenn sie eine Promotion benötigten, damit die Diplome, die man bei ihnen erwerben kann, vom Staat anerkannt werden. Aus dem katholischen Lateinamerika stammen weniger ÖSW-ler; die größte Gruppe stellt hier Brasilien. In der Regel sind die Geförderten Christen. Die Vietnamesen sind hier Ausnahmen. Die Stipendien des ÖSW werden normalerweise aus Mitteln des kirchlichen Entwicklungsdienstes bezahlt, der dafür jährlich etwa 1,3 Millionen Euro zur Verfügung stellt. Die Doktoranden aus dem kommunistischen Vietnam werden jedoch aus einem Sonderprogramm gefördert, das vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung finanziert wird. Dieses Programm läuft demnächst aus.
Typisch für die Stipendiaten des ÖSW ist eher Charity Irungu aus Kenia. Die bescheidene, aber zielstrebige Frau arbeitet für eine NGO, die der afrikanischen Kirche angeschlossen ist. Mit ihrem Stipendium untersucht sie, ob und wie solche NGOs tatsächlich die Ärmsten erreichen können. Ihre Fallstudie hat unter anderem ergeben, dass zwei NGOs, die Kinder und Bildungsprogramme gezielt fördern, eher die Armen einbeziehen als zwei Kleinkreditprogramme. Denn diese geben gerade Kleinbauern keine Kredite und kommen nur in Orte, die von Straßen und öffentlichem Verkehr erreicht werden. Sorgfältig erläutert Irungu ihre Erhebungsmethode und deren Grenzen und erklärt, wie die NGOs, deren Arbeit sie als durchaus hilfreich bewertet, zielgerichteter helfen könnten.
Aufmerksam folgen die ÖSW-ler in Göttingen dem Vortrag. Mehrere geben sich nicht zufrieden, bevor die Details der statistischen Methode geklärt sind. Diese Bereitschaft zum Austausch mit Wissenschaftlern aus anderen Ländern, anderen Fächern und anderen Forschungsstilen hat, so berichtet Susanne Werner, die Tagungen der ÖSW-Stipendiaten immer ausgezeichnet. Und es fällt auf, dass bei aller offenen Kritik eine Atmosphäre der gegenseitigen Ermutigung herrscht. Dafür hat Susanne Werner eine Erklärung: Die Doktoranden aus dem Süden haben in Deutschlands Wissenschaftsbetrieb oft einen schweren Stand. "In den Debatten untereinander entdecken sie dann: Wir können eine Menge, wir haben besondere Fähigkeiten."
aus: der überblick 04/2002, Seite 138
AUTOR(EN):
Bernd Ludermann :
Bernd Ludermann war viele Jahre Redakteur beim "überblick". Er arbeitet jetzt als freier Journalist in Hamburg und betreut unter anderem als Redakteur die Forum-Seiten im "überblick".