Ein indischer Entwicklungs-Consultant
Noch immer ist Isaac auf der Suche nach Menschen mit Charisma. Obwohl eigentlich im Ruhestand, berät er jetzt freiberuflich Dienste in Übersee. Er will beim Austausch von Fachkräften und Erfahrungen zwischen Süd und Süd helfen.
von Jürgen Duenbostel
So richtig zum Feiern ist Samuel M. Isaac oder Sam, wie seine Freunde ihn nennen, gar nicht gekommen. Zu viele wollten am Rande der Feierlichkeiten des 40-jährigen Jubiläums von Dienste in Übersee in Stuttgart unbedingt mit ihm sprechen. Sie wollten seine Meinung zu aktuellen Problemen hören, einen Rat von ihm erhalten oder ihn für eine neue Aufgabe gewinnen. Weil er mehr als 16 Jahre für den Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) als Entwicklungsberater gewirkt und von Kindheit an in verschiedenen Kulturen gelebt hat, verfügt er über Erfahrungen und ein Netz von Kontakten wie kaum ein anderer. Entsprechend gefragt ist er.
Dabei lebt Sam Isaac eigentlich im Ruhestand. Als Ruhesitz hat er seine indische Heimatstadt Chennai (südlich von Madras) gewählt. "Freunde und Verwandte", so erzählt er verschmitzt, "waren zunächst sehr neugierig, als ich aus Genf zurückkehrte und in mein Haus einzog, welche westlichen Luxusgüter ich wohl mitgebracht hätte. Sie lugten sogar vorsichtig in die Küche, was für ein Gefrierschrank dort stand." Doch Isaac enttäuschte alle Erwartungen. Er hat lieber lokale Möbel und Elektrogeräte gekauft, sich ein bescheidenes Auto aus indischer Produktion angeschafft und kleidete sich nach indischer Art. Er wollte wieder ein normaler Inder sein.
Seine frühe Kindheit hat Sam Isaak in Indien verbracht. Aber gleich nach dem Zweiten Weltkrieg zog seine Familie nach Burma. Sein Vater, ein anglikanischer Pastor, übernahm in Rangun die Pfarrstelle einer Gemeinde und Sam ging dort zur Schule. Nach sieben Jahren zog die Familie zurück nach Indien. Sam machte seinen Schulabschluss und arbeitete zunächst in verschiedenen Jobs der kommerziellen Wirtschaft. Doch bereits Anfang der sechziger Jahre zog es ihn in die entwicklungspolitische Arbeit der Kirchen. Gandhis Ethos der Entwicklung und die buddhistische Bewegung der Landverteilung beeindruckten ihn stark. Letztere hatte Großgrundbesitzer überzeugt, einen Teil ihres Farmlands an landlose Bauern zu verteilen.
Die verschenkten Flächen besaßen allerdings zumeist nur karge Böden. Die Projekte, in denen Isaac arbeitete, halfen deshalb, die Bodenqualität zu verbessern. In dieser Projektarbeit entdeckte Isaac die Herausforderung an sein eigenes christliches Zeugnis und seinen christlichen Dienst, Entwicklungskonzepte verschiedener Religionen und Kulturen zu integrieren. Mehr darüber zu lernen, wie andere Kulturen und Religionen Aufgaben anpacken, wurde für ihn zum treibenden Motiv.
Deshalb konnte er nicht nein sagen, als ihm während des Vietnamkrieges angeboten wurde, Direktor der ökumenischen Flüchtlingsarbeit in Indochina mit Sitz in Laos zu werden. So zog er mit seiner jungen Familie dorthin. Viel Zeit für die Familie blieb ihm allerdings nicht, denn er musste häufig nach Kambodscha und Südvietnam reisen, um die dortige Flüchtlingshilfe zu betreuen. Einige Male reiste er auch nach Nordvietnam, wo er für Hilfsprojekte wie den Wiederaufbau von Hospitälern zuständig war, die gemeinsam von der Christlichen Konferenz von Asien (Christian Conference of Asia - CCA) und dem ÖRK betrieben wurden.
In Südvietnam wurde er erstmals mit dem Problem konfrontiert, das zu viel Geld bereiten kann. Das Elend in den neu errichteten Flüchtlingslagern hatte gerade Schlagzeilen gemacht und das Fernsehpublikum erschüttert; und plötzlich sollte er einen millionenschweren Etat für die Flüchtlingshilfe binnen weniger Wochen ausgeben. Isaac wehrte ab: "Ich muss erst mal zusammen mit den Leuten in den Lagern klären, was nötig ist, und durchdachte Pläne entwickeln."
Seine Freunde schimpften: "Warum nimmst Du das Geld nicht? Du kannst denen doch schnell ein paar Pläne skizzieren und das Geld dann später anders sinnvoll ausgeben!" Isaac lächelt: "Mag sein, ich bin ein bisschen tumb, aber das ist nicht meine Art zu arbeiten."
Diese Erfahrung muss ihm innerlich lange zu schaffen gemacht haben. Als er Mitte der siebziger Jahre - zwischenzeitlich hatte er als Sekretär der CCA für zwischenkirchliche Beziehungen gearbeitet - von der Evangelisch- Lutherischen Kirche in Amerika (LCA) gebeten wurde, für sie als Entwicklungs-Consultant für Asien tätig zu werden, stellte er eine Bedingung: "Ich habe einen kleinen Traum. Ich möchte herausfinden, ob christliche Entwicklungshelfer Zugang zu Gemeinschaften anderer Kulturen und Religionen haben, wenn sie nicht mit dem Scheckbuch herumreisen."
Die LCA-Verantwortlichen waren zunächst ratlos. Für so etwas gab es weder Organisationspläne, Budgetansätze noch Controlling-Systeme. Doch Isaac konnte schließlich aushandeln, dass er neben seiner eigentlichen Arbeit solche Selbsterfahrung sammeln durfte. Seine Gesprächspartner anderer Religionen in Asien waren nicht minder verblüfft. Deren Bild von Christen war, dass diese mit fertigen Vorstellungen und hohem Budget ankommen und selbstverständlich davon ausgehen, dass ihr System das überlegene ist und die andern sich dazu bekehren müssten. Isaac aber kam ohne Geld. Er wollte zuhören und nicht predigen.
"Du bist der erste Christ, der zu mir kommt, um von uns etwas zu lernen", erinnert sich Isaac an die Reaktion des Führers einer Heilsbewegung in Sri Lanka. Diese Bewegung hatte sich von der Gandhianer- Bewegung ausgehend an die buddhistische Kultur angepasst und konnte in zahlreichen Dörfern gute Entwicklungserfolge vorweisen. Der Schlüssel für solche Erfolge, so Isaac, liegt darin, dass die Leute die Energie für Entwicklung in sich selbst spüren und nicht auf Hilfe von außen warten.
Zu verstehen, wie unterschiedlich die einzelnen Religionsgemeinschaften gleiche Aufgaben angehen, sei die Voraussetzung für erfolgreiche Zusammenarbeit in der Entwicklung, betont Isaac. So hätten etwa die Muslime in Indonesien eine starke Diakonie-Bewegung aufgebaut. Doch sei diese nicht wie hierzulande mit zentraler Spendensammlung organisiert, sondern um jede Moschee herum gebe es diakonisches Wirken "aktiv wie ein Bienenkorb". Dort betreibe man Schulen, Hospitäler, Waisenhäuser, Altenpflege-Einrichtungen, Armenspeisung und vieles andere; und jeder, der zum Beten in die Moschee gehe, wisse, dass er auch für diese Einrichtungen verantwortlich sei.
"Voneinander zu lernen, für andere Kulturen offen zu sein, deren gute Werte zu adaptieren und zu integrieren, ist der Schlüssel zur menschlichen Entwicklung", betont Isaac. "Wir haben lange die Bedeutung der Kultur und religiösen Dimension wie Spiritualität übersehen, den Stolz auf sich selbst und die eigene Geschichte. Geld und Technik helfen, können aber in alle keinen Wandel bringen." Oft komme es auf das Charisma einzelner Menschen an, auf deren Fähigkeit zu motivieren. Zwar könne man manchmal einzelne Elemente solchen Charismas identifizieren, aber die Inspiration, die von einer Person ausgehe, könne nicht vervielfacht werden, indem man zehn Personen statt dieser einen und den zehnfachen Etat einsetze.
Noch immer ist Isaac auf der Suche nach Menschen mit solchem Charisma. Obwohl eigentlich im Ruhestand, berät er jetzt freiberuflich Dienste in Übersee. Er will beim Austausch von Fachkräften und Erfahrungen zwischen Süd und Süd helfen. Im Süden gebe es inzwischen genügend Menschen mit Entwicklungserfahrung, aber es fehle noch an Verwaltungsstrukturen und Organisation für solchen Austausch. Noch bestehe eine Dreiecksbeziehung, weil Dienste in Übersee von Deutschland aus solchen Süd-Süd-Austausch organisiere. "Austauschzentralen im Norden sind nicht nur teuer, sie schaffen auch Abhängigkeiten", meint Isaac. Seine Aufgabe sei es, Leute innerhalb der Kontinente des Südens zusammenzubringen und zu beraten, die motiviert sind, selbst die Kontaktnetze zu knüpfen und eigene Infrastrukturen dafür aufzubauen. "Wenn das ihr eigenes Interesse ist, werden sie auch selbst das Geld dafür einwerben. Das muss ich nicht mitbringen oder gar aufdrängen."
aus: der überblick 04/2000, Seite 124
AUTOR(EN):
Jürgen Duenbostel :
Jürgen Duenbostel ist Redakteur beim überblick.