Erste Stellungnahme zu einem Grundsatzpapier von Brot für die Welt
Dieses bescheidene, ja unscheinbare Heft hat es in sich. Da ist es noch etwas von dem Geist der Gründer zu spüren, da spiegeln sich vierzig Jahre Erfahrung, da wird deutlich, daß hier Menschen am Werk sind, die Weltverantwortung ernst meinen. Mit großer Klarheit wird an vielen Beispielen die Konsequenz aus eigener Analyse und den Anliegen der Partner in aller Welt formuliert: nämlich die Programme und Projekte im Süden vermehrt mit Bemühungen um Veränderung der Rahmenbedingungen zu verbinden, sprich: Entwicklungsverantwortung im Norden noch stärker wahrzunehmen.
von Renate Wilke-Launer
Immerhin 162 Absätze hat dieses Grundsatzdokument genug Gelegenheit also, auch mal ins Detail zu gehen. Das gelingt da besonders überzeugend, wo die Kernbereiche der Arbeit von Brot für die Welt behandelt werden, also Ernährung, Bildung und Gesundheit. Gelungen sind auch die Passagen, in denen begründet wird, warum Demokratie, Partizipation und Rechtsstaatlichkeit so wichtig sind. Brot für die Welt, heißt es in Absatz 82, möchte Menschen unterstützen, "die aufgrund ihrer Armut oder einer sonstigen Benachteiligung nicht oder nur unzureichend in der Lage sind, ihre Interessen und Wertvorstellungen selbständig zu artikulieren... damit diese erfolgreich verhandeln und in Konflikten bestehen können".
Die Erklärung ist da stark, wo Brot für die Welt gut ist. Doch leider haben sich die Autoren nicht auf Aussagen zu ihren ureigenen Arbeitsfeldern beschränkt, sondern diesen Abschnitten ein Kapitel "Tendenzen und Herausforderungen" vorangestellt, indem sie zu politischen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen Stellung nehmen. Was da formuliert wurde, ist wenig durchdacht, ziemlich einseitig, und dabei so apodiktisch formuliert, daß man selbst den richtigen Kern vieler Aussagen bestreiten möchte, weil er so grobschlächtig dargeboten wird.
Damit keine Mißverständnisse entstehen: Wer seinen Platz an der Seite der Armen und Ausgegrenzten sieht, muß über verschiedene Aspekte der Globalisierung zutiefst besorgt sein. Wenn die, die nichts anzubieten haben, das Tempo nicht mithalten können oder nach anderen Regeln wirtschaften wollen, plattgemacht, abgeschoben und bestenfalls noch mit Almosen über Wasser gehalten werden, kann die Kritik gar nicht scharf genug sein.
Schon was die derzeitigen Lebensumstände vieler Menschen betrifft, hätte die Erklärung sehr viel deutlicher sein müssen: Von den schrecklichen Massakern und Kriegen ist kaum und dann in verharmlosender Weise die Rede, von der alltäglichen Gewalt gegen Frauen bis auf den Sonderfall der sexuellen Verstümmelung von Mädchen überhaupt nicht. Und was ist mit den korrupten Machthabern, die die Ressourcen des Landes als ihr Eigentum, die Versorgung der Bevölkerung aber als Aufgabe der internationalen Gemeinschaft betrachten? Welches Konzept von wirtschaftlicher Entwicklung hinter den Anklagen steht, ist nicht immer klar. Wenn es zum Beispiel heißt, daß die ärmeren Länder und Regionen oftmals faktisch aus der Weltwirtschaft ausgeschlossen werden, klingt das anklagend und bedauernd. So negativ wie die Weltwirtschaft in der Erklärung stellenweise beschrieben wird, könnte es jedoch auch von Vorteil sein. Was will Brot für die Welt, fragt man sich. ähnlich ist es mit der Beobachtung, daß die geopolitische Bedeutung vieler ärmerer Länder des Südens weiter sinkt. War es etwa besser, als die Menschen noch in Stellvertreterkriegen ihr Leben ließen? Und kann wirklich Geopolitik für die derzeitige Akzeptanzkrise der Nord-Süd-Zusammenarbeit verantwortlich gemacht werden? Liegt es nicht eher daran, daß viele Regierungen im Süden den moralischen Kredit verspielt haben, den sie im Unabhängigkeitskampf erstritten hatten?
Ganz grundsätzlich gefragt: Ist es wirklich immer zu bedauern, wenn der Staat sich zurückzieht? Gibt es nicht genügend Beispiele dafür, daß er schlecht wirtschaftet und Entwicklung behindert? Kann es nicht der Entwicklung des Landes förderlich sein, wenn unsinnige und überflüssige Vorschriften aufgehoben werden, die zur Korruption geradezu eingeladen haben? Ist es wirklich schlechter, wenn der Staat statt vieler unfähiger und korrupter Beamter weniger, aber besser bezahltes und motiviertes Personal hat, das sich um Krankenhäuser und Schulen wirklich kümmert? Und zahlen nicht die gescholtenen transnationalen Konzerne (über deren Macht natürlich geredet werden muß) oft höhere Löhne als einheimische Unternehmen?
Wenn dem inzwischen ziemlich mobilen Kapital nicht allein das Feld überlassen bleiben soll, dann muß auch in der Entwicklungspolitik schnell und möglichst ideologiefrei darüber geredet werden, was Märkte leisten können und was nicht, wo die Regierungen Rahmenbedingungen formulieren und selbst tätig werden müssen und wo staatliches Handeln unnötig oder gar kontraproduktiv ist. Eine gesunde und stabile Marktwirtschaft setzt schließlich einen funktionierenden Staat voraus. Diskussionen darüber währen ja schon eine Weile, und die Debatte ist sehr viel weiter als die pauschalen Globalisierungsthesen dieser Erklärung.
Die vorstehende Kritik ist deshalb so notwendig, weil Brot für die Welt nicht nur zum besten gehört, was wir in diesem Land haben, sondern auch, weil es sich etwas vorgenommen hat, was nicht nur Sympathie, sondern auch Erfolg verdient: auf Mißstände gezielt hinzuweisen, Veränderungen vorzuschlagen und auf deren Realisierung zu drängen. Als angesehenes kirchliches Hilfswerk in einem ziemlich reichen und nicht mehr ganz einflußlosen Land, hat es dazu gute Voraussetzungen. Um im Konsens oder auch im Streit etwas durchzusetzen, braucht es aber auch gute Argumente. Kapitalismuskritik ist notwendig, mit Argumenten aus der Mottenkiste Staat gegen Markt kann man in der Globalisierungsdiskussion aber nicht bestehen. Sonst heißt es ganz schnell wieder, daß die Kirche in ihrem Engagement für die Armen ja das Herz auf dem richtigen Fleck habe, sich aus der Politik aber doch lieber heraushalten solle. Und das kann nicht im Interesse von Brot für die Welt und der ihm anvertrauten Interessen seiner Partner in aller Welt sein.
aus: der überblick 01/2000, Seite 119