Nachgefragt bei Lidy Nacpil
Die Privatisierung der Wasserwirtschaft in Manila war eins der Musterprojekte der Weltbank für diesen Sektor. Nach sechs Jahren sind die Erfahrungen ernüchternd, erläutert Lidy Nacpil, die Generalsekretärin der Freedom from Debt Coalition. Die streitet auf den Philippinen für eine faire Regelung der Auslandsschulden, die Auflösung von Monopolen, eine andere Arbeits-, Finanz- und Handelspolitik und bessere öffentliche Dienste. Sie ist ein Partner von "Brot für die Welt" in der Wasser-Kampagne.
von Bernd Ludermann
Wann wurde die Wasserversorgung in Manila privatisiert?
Das größte Wasser- und Abwassersystem der Philippinen, das die Hauptstadt Manila mit heute 15 bis 16 Millionen Menschen versorgt, wurde 1997 privatisiert. Die Weltbank hatte darauf gedrängt und half unter anderem bei der Formulierung der Geschäftspläne und Verträge. Nach Eingang der Angebote verschiedener Konzerne teilte man das Gebiet Metro-Manila in zwei Teile - West und Ost - und gab die Lizenzen für die Wasserversorgung an zwei verschiedene Firmen, um eine gewisse Konkurrenz zu bewirken.
Welche Firmen erhielten den Zuschlag - ausländische oder einheimische?
Ausgewählt wurden zwei der fünf größten philippinischen Firmen. Beide waren eine Partnerschaft mit führenden internationalen Wasserkonzernen eingegangen. Im Westteil gewann Maynilad, ein Konsortium aus der Firma Lopez, die unter anderem den größten Elektrizitätsverteiler der Philippinen und ein Medien-Imperium besitzt sowie in der Telekommunikation und Eisenbahn tätig ist, mit dem französischen Konzern Suez. Im Ostteil gewann die Manila Water Company (MWC) aus dem philippinischen Ayala-Konzern sowie Bechtel aus den USA und Mitsubishi aus Japan.
Welche Rechte und Pflichten für die Firmen sahen die Verträge vor?
Die Regierung hat die Infrastruktur nicht verkauft, sondern in einer Art Leasing vergeben: Das Wasserleitungs- und Kanalnetz bleibt Eigentum der Regierung, geht aber für 25 Jahre in den Besitz der Firmen über und steht unter ihrem Management. Sie sind auch für den Unterhalt und Ausbau des Leitungsnetzes zuständig. Die Verträge legen fest, welche Wassergebühren die Firmen dafür nehmen dürfen und wann und wie die angehoben werden können. Für die ersten beiden Jahre schloss der Vertrag eine Erhöhung aus. Nach zwei Jahren drängten die Firmen auf Preisanhebungen, und die Regierung stimmte zu. Doch wir haben protestiert, unter anderem weil die verlangte Gebührenerhöhung den dafür im Vertrag festgelegten Bedingungen widersprach. Die Regierung musste ihre Zustimmung zurückziehen, doch nach drei Monaten hat sie den Vertrag geändert, um die Preisanhebung doch zu erlauben.
Worin war die Anhebung begründet?
Angelegt war sie im Ausschreibungsverfahren, das Standard-Prozessen der Weltbank folgt. Es schaffte den Anreiz, sehr niedrige Wasserpreise zu bieten, um den Zuschlag zu bekommen. Die Firmen wussten, dass sie wegen der Gestaltung der Verträge ein unrealistisch niedriges Gebot nachher berichtigen konnten. Genau das ist passiert: Die Konzerne boten erst extrem niedrige Wasserpreise und erhöhten die nach zwei Jahren. Als einen Grund dafür führten sie die Finanzkrise von 1997 an. Sie wollten einen automatischen Ausgleich für Änderungen der Wechselkurse.
Weil die Währung der Philippinen nach der Asien-Krise 1997 abgewertet worden war und deshalb die Gebühren in Dollar weniger wert waren?
Richtig. Tatsächlich verlangten die Firmen aber wesentlich stärkere Erhöhungen, als mit dieser Krise zu rechtfertigen waren. Das ist bemerkenswert, weil die Verträge eigentlich bereits einen Profit garantieren, solange die Wasserdienstleistung effizient geführt wird. Ein Grund, warum Maynilad trotz der Garantie in Schwierigkeiten geriet, waren Verluste in anderen Geschäftsbereichen. Der Lopez-Konzern musste deshalb höhere Zinsen für alle seine Kredite zahlen. Ayala nutzte das aus und verlangte dieselben Zugeständnisse, obwohl es diese Finanzierungsprobleme nicht hatte. Da haben wir gesagt, ein Teil der Gebührenanhebung ist berechtigt. Aber zum Teil sollen wir über die Wasserpreise nicht erhöhte Betriebskosten zahlen, sondern eine Erhöhung des Eigenkapitals des Konzerns. Wir sind bereit, ein oder zwei Pesos mehr zu zahlen, aber Ihr müsst das als Kapitaleinlage führen.
Was haben die Firmen dazu gesagt?
Sie haben das natürlich abgelehnt. Und sie verlangten von der Regierung, grundlegende Vertragsbestimmungen zu ändern. Der Vertrag sah vor, dass die Firmen Zinskosten für ihre Investitionen über 25 Jahre verteilt auf die Wasserpreise umlegen konnten. Nun wollten sie diese Kosten bereits in drei bis vier Jahren einnehmen. Die Regierung erlaubte dann mehrmals Preiserhöhungen. Das Ergebnis ist, dass fünf Jahre nach der Privatisierung die Wasserpreise ungefähr auf das Doppelte des Standes vor der Privatisierung gestiegen sind.
Was bedeutet das im Vergleich zu den von den Firmen angebotenen Gebühren?
Im Ostteil Manilas bedeutete das eine Versechsfachung gegenüber der mit den Firmen zunächst vereinbarten Rate, im Westteil etwas weniger. Hier sah allerdings das ursprüngliche Angebot höhere Gebühren vor, denn der Westteil - der größere und damit rentablere - übernahm alle Schulden des früher staatlichen Versorgers. Zudem verlangte die Firma im Westteil eine Verdreifachung der Preise gegenüber der Zeit vor der Privatisierung, aber die Regierung hat nur die Verdoppelung erlaubt. Deswegen hat der Konzern im vergangenen Dezember den Vertrag gekündigt. Jetzt wird darüber gestritten, ob er wegen Verstößen der Regierung oder des Konzerns endet. Im ersteren Fall müsste die Regierung 21 Milliarden Pesos (rund 370 Mio. Euro) Entschädigung zahlen, im zweiten Fall 4 Milliarden Pesos (etwa 71 Mio. Euro).
Ist infolge der Privatisierung die Wasserqualität gestiegen?
Nein. Vor fünf, sechs Jahren haben viele Bewohner Manilas angefangen, kein Leitungswasser mehr zu trinken, sondern Trinkwasser in Flaschen zu kaufen. Nach fünf Jahren Privatisierung ist das nicht besser geworden.
Haben denn mehr Menschen Zugang zu Wasser als vor der Privatisierung?
Zum Zugang gehören zwei Fragen: Gibt es einen Anschluss, und kann man sich das Wasser leisten. Da sich die Preise verdoppelt haben, liegt es auf der Hand, dass sich die, die einen Anschluss haben, weniger Wasser leisten können. Was die Verfügbarkeit angeht: Im Vertrag ist festgelegt, dass die Firmen eine bestimmte Zahl neuer Anschlüsse pro Jahr legen müssen. Die genehmigten Wasserpreise beruhen auf dieser Rate des Netzausbaus, die Kosten dafür sind in den Gebühren enthalten. Beide Firmen behaupten, dass sie diese Verpflichtung erfüllt haben, aber die Regulierungsbehörde bezweifelt das stark. Denn die Firmen haben einfach die Gebiete benannt, in denen es jetzt Wasserleitungen gibt, sowie die Zahl der dort Wohnenden geschätzt. Aber das heißt ja nicht, dass die auch alle einen Wasseranschluss haben. Ein großes Problem in den armen Stadtteilen ist, dass die Bewohner die einmalige Gebühr für einen Anschluss - mehr als 3000 Pesos - nicht zahlen können.
Was bedeuten 3000 Pesos im Verhältnis zum Einkommen?
Für die, die den Minimallohn erhalten - und viele haben dieses Glück nicht -, ist das ungefähr ein halber Monatslohn. Diese Summe können die Menschen ansparen, aber sie brauchen dafür lange.
Sind die Wasserverluste in den Leitungen vermindert worden?
Nein. Vor der Privatisierung gingen im ge-samten Gebiet rund 58 Prozent des Wassers verloren ...
... so viel? Waren das alles Leitungsverluste oder auch Diebstahl, also unbezahlte Anschlüsse?
Überwiegend Leitungsverluste. Diebstahl macht weniger als ein Viertel aus. In den Verträgen mit den Firmen war festgelegt, dass sie die Leitungsverluste bis 2001 nach und nach vermindern würden. Aber tatsächlich sind nach unseren Recherchen im Westteil die Verluste auf rund 66 Prozent gestiegen. Im Ostteil sieht es etwas besser aus, da liegen die Verluste jetzt bei 48 Prozent, aber auch das liegt über dem vertraglich Vereinbarten. Die Wasserpreise sind ja berechnet auf der Grundlage von Investitionen, zu denen die Firmen verpflichtet sind, um das Netz zu verbessern. Demnach müssten die Verluste jetzt im Westteil bei 30 Prozent liegen und im Ostteil bei 16 Prozent. Die Firmen haben also die Investitionen nicht getätigt, obwohl sie die Gebühren eingenommen haben.
Was sollte man Ihrer Meinung nach jetzt tun?
Erstens sollte man die Wasserversorgung wieder zu einer öffentlichen Aufgabe machen. Die Behauptung der Regierung, ihr fehle die Expertise, ist nicht überzeugend. Denn die meisten Ingenieure und Fachleute, die die beiden privaten Versorger eingestellt haben, waren vorher beim staatlichen Versorger beschäftigt.
Zweitens sollte das Management gegenüber dem früheren völlig verändert werden. Die Ineffizienz war zum guten Teil vom oberen Management verursacht - zum Beispiel durch Korruption.
Wäre für das Funktionieren einer staatlichen Wasserwirtschaft nicht gute Regierungsführung die Voraussetzung?
Schon. Aber die ist genauso nötig, wenn Privatisierungen funktionieren sollen. Das geben auch die Befürworter von Privatisierungen zu. Immer wenn es ein Problem gibt, erklären sie, das sei eine Frage der angemessenen staatlichen Regulierung. Wenn wir also gute Regierungsführung erreichen, warum sollten wir dann die Wasserwirtschaft in die Hände privater Konzerne legen? Schließlich ist Wasser ein Grundbedürfnis. Die Regierung baut auch Straßen oder Brücken, ohne dass sie erwartet, die Kosten vollständig aus Gebühren einzunehmen. Warum soll das für Investitionen in die wichtigsten Wasserleitungen nicht gelten?
Fürchten Sie, dass ein Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen eine Rückführung der Wasserversorgung in staatliche Hand unterbinden wird?
Das ist nicht das vordringliche Problem. Ein unmittelbares Hindernis ist, dass eine Re-Nationalisierung nicht mit den Strukturanpassungen vereinbar ist, zu denen die Regierung sich in Kreditverträgen mit der Weltbank und der Asiatischen Entwicklungsbank verpflichtet hat. Eine Rücknahme des Wasserwesens in die öffentliche Hand würde künftige Kredite von diesen Entwicklungsbanken gefährden. Im Übrigen sind die Philippinen zwar hoch verschuldet. Das ist aber kein Argument dagegen, für eine öffentliche Wasserwirtschaft neue staatliche Kredite aufzunehmen. Denn die privaten Wasserkonzerne nehmen ebenfalls Kredite auf und können das nur, weil die Regierung ihnen mehr oder weniger ihr Geschäft garantiert. Das ist indirekt eine staatliche Kreditgarantie. Wenn die Regierung das Kapital gleich selbst aufnehmen würde, wären sogar die Zinsen günstiger.
Welche Hilfe für Ihre Forderungen erwarten sie von der Kampagne von "Brot für die Welt"?
Das Drängen auf Privatisierungen ist ein globales Problem. Internationale Investoren, Finanzinstitutionen und Konzerne haben eine Menge Einfluss auf Regierungen wie die in Manila. Die glaubt, dass sie kaum eine Wahl hat. Dem kann man nicht nur in einem einzelnen Land entgegentreten.
aus: der überblick 02/2003, Seite 124
AUTOR(EN):
Bernd Ludermann :
Bernd Ludermann war viele Jahre Redakteur beim "überblick". Er arbeitet jetzt als freier Journalist in Hamburg und betreut unter anderem als Redakteur die Forum-Seiten im "überblick".