Zahlen und Fakten
Für je 100.000 Menschen stehen in den USA 773 Krankenschwestern zur Verfügung, in Uganda dagegen nur 6. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nennt als Minimum für eine noch akzeptable Gesundheitsversorgung 100 Krankenschwestern und 20 Ärzte je 100.000 Einwohner. In 38 Ländern im südlichen Afrika sind es weniger als 20 Ärzte, in 13 Ländern nur 5 oder weniger. 17 afrikanische Länder südlich der Sahara erreichen nicht einmal die Hälfte der von der WHO geforderten minimalen Quote an Krankenschwestern. Besonders betroffen sind die ländlichen Gebiete. HIV/AIDS belastet das Gesundheitssystem zusätzlich: Ärzte und Krankenschwestern werden selbst zu Pflegefällen und sterben, gleichzeitig wächst die Zahl derer, die medizinisch versorgt werden müssen.
In den USA gibt es rund 100.000 vakante Stellen für Krankenschwestern. Wegen des zunehmenden Anteils alter Leute in der Bevölkerung wird bis zum Jahr 2010 voraussichtlich eine Million Krankenschwestern zusätzlich benötigt. Für Kanada wird erwartet, dass im Jahr 2011 rund 78.000 offene Stellen für Schwestern nicht besetzt werden können. In Australien werden bis zum Jahr 2010 voraussichtlich 40.000 Pflegekräfte fehlen. Malawi konnte im Jahr 2003 nur 28 Prozent der offenen Stellen für Krankenschwestern besetzen. In manchen Ländern wie Kenia gibt es gleichwohl arbeitslose Krankenschwestern, weil der Staat nicht genügend Stellen für sie finanziert. Im letzten Jahrzehnt hat Ghana die Hälfte seiner Krankenschwestern an Kanada, Großbritannien und die USA verloren. Zurzeit gibt es mehr ghanaische Ärzte, die im Ausland arbeiten, als im Heimatland. Nur 50 von 600 Ärzten, die zwischen 1978 und 1999 ausgebildet wurden, sind im öffentlichen Gesundheitswesen in Sambia geblieben. Wegen der HIV/AIDS-Epidemie und um die UN millennium development goals (vergl. »der überblick« 1/2004) zu erreichen, werden derzeit in den südlich der Sahara gelegenen Ländern Afrikas noch 620.000 zusätzliche Schwestern benötigt.
Südafrika verliert fast die Hälfte seiner approbierten Ärzte allein an Kanada, Großbritannien und Australien. Die Republik beschäftigt deshalb medizinisches Personal aus ärmeren Ländern wie Kenia, Malawi und Simbabwe. 80 Prozent der Ärzte in ländlichen Gebieten Südafrikas stammen inzwischen aus diesen Ländern.
Kuba bildet dagegen mehr Ärzte aus als das Land benötigt. Durch die Entsendung von Ärzten als Helfer in anderen Ländern will der Staat sein Image verbessern und Gegenleistungen wie Öllieferungen erreichen.
Die Philippinen sind weltweit der größte Exporteur medizinischer Arbeitskräfte. Jedes Jahr schickt die Republik der Philippinen 14.000 Krankenschwestern doppelt so viele wie sie ausbilden lässt in die USA, nach Saudi Arabien, Irland und Großbritannien. Dies führt zu einem Mangel an Pflegepersonal im eigenen Land. Großbritannien wirbt jährlich etwa 15.000 Schwestern an und verliert um die 8000 durch Emigration nach Australien, die USA, Kanada, Irland und Neuseeland.
So gut wie jedes Land in der Welt leidet unter Mangel an medizinischem Personal. Auch in reichen Ländern klagen Ärzte und Schwestern über schlechte Arbeitsbedingungen im öffentlichen Gesundheitswesen. Immer mehr wechseln in den Privatsektor. Um Defizite im öffentlichen Gesundheitswesen und in Pflegeheimen auszugleichen, sind die reichen Länder zunehmend auf medizinisches Personal aus dem Ausland überwiegend aus Asien und Afrika angewiesen. Arme Staaten in diesen Kontinenten tragen damit die Ausbildungskosten für medizinisches Personal in reichen Ländern. In Neuseeland sind über 50 Prozent der staatlich anerkannten Schwestern im Ausland ausgebildet worden. Im Jahr 2003 wurden in Großbritannien 43 Prozent der Schwestern im Ausland ausgebildet, zehn Jahre davor nur 10 Prozent. Etwa 12.500 Ärzte und 16.000 Schwestern aus Afrika arbeiten mit staatlicher Zulassung in Großbritannien. Zwischen 1993 und 2002 ist dort die Zahl der approbierten Ärzte, die nicht aus der Europäischen Union stammen, von jährlich 2500 auf 4456, also um 78 Prozent, gestiegen. Die Zahl der approbierten Ärzte aus England stieg dagegen nur um 17 Prozent. Zurzeit kommen 21 Prozent der approbierten Ärzte in England aus Entwicklungsländern.
Großbritannien hat seit 1998 durch Anwerbung ghanaischer Ärzte umgerechnet rund 117 Millionen US-Dollar an Ausbildungskosten gespart. Ghana hat 63 Millionen US-Dollar an Ausbildungskosten für medizinisches Personal verloren, das nicht im Land geblieben ist. Während im Jahr 1998 etwa 43 Prozent der Stellen für Ärzte und 26 Prozent der Arbeitsplätze für Krankenschwestern in Ghana unbesetzt blieben, stieg im Jahr 2002 die Quote auf 47 und 57 Prozent an. In Großbritannien stirbt von 150 Kindern eins, bevor es das Alter von fünf Jahren erreicht. In Ghana stirbt ein Kind von zehn, bevor es fünf Jahre alt geworden ist. In Großbritannien wurden im Jahr 2002 pro Kopf umgerechnet 2031 US-Dollar für Gesundheitsdienste ausgeben, in Ghana dagegen nur 17 US-Dollar.
Gründe für Beschäftigte im Gesundheitswesen, ihre Heimat zu verlassen, sind schlechte Arbeitsbedingungen, eine hohe Infektionsgefahr, schlechte oder häufig ausbleibende Bezahlung, mangelnde Ausstattung für eine adäquate Behandlung der Patienten sowie eine gute Aussicht auf Karriere im Ausland. Auch die Möglichkeit, vom Ausland aus Verwandte zuhause finanziell besser unterstützen zu können, ist ein Anreiz zur Migration. Zwar profitieren ihre Herkunftsländer von den Rücküberweisungen der Migrantinnen und Migranten, die transferierten Beträge können aber keinesfalls den Ausfall von Personal im Gesundheitswesen aufwiegen, da Rücküberweisungen selten direkt ins Gesundheitssystem investiert werden.
Um Ärzte zur Rückkehr ins Herkunftsland zu bewegen, sind mittlerweile verschiedene Ideen entwickelt worden: Während ihrer Ausbildung im Ausland sollen Mediziner in Fachgebieten arbeiten, die für das Gesundheitswesen im Heimatland am wichtigsten sind, und Kontakt zu diesem halten, so dass sie dort nach ihrer Rückkehr leichter weiterarbeiten können. Außerdem wird ein so genanntes sandwich training propagiert: Nur die Anfangs- und Endphase der Ausbildung findet im Ausland statt, eine mittlere Ausbildungsphase dagegen im Ursprungsland, was wiederum die Anknüpfung am heimischen Arbeitsmarkt erleichtert.
Auch nach der Rückkehr in die Heimat soll dem medizinischen Personal der Zugang zu renommierten medizinischen Fachzeitschriften und zum Internet erhalten bleiben. Ferner wird empfohlen, mit Stipendien Forschungsprojekte im Heimatland ermöglichen. Um von vornherein die Rückkehr medizinischer Fachleute in ihr Heimatland sicher zu stellen, sollen ihnen nur befristete Visa ausgestellt werden.
Entscheidungsträger in Entwicklungsländern sollen regelmäßig Kurse besuchen, in denen ihnen vor Augen geführt wird, wie wichtig wissenschaftliche Forschung in ihrem eigenen Land ist. Wer nach seiner Ausbildung ins Ausland geht und nicht bereit ist, später wieder in seinem Herkunftsland zu arbeiten, soll die Kosten für seine Ausbildung durch den Staat zurückerstatten.
aus: der überblick 03/2005, Seite 14
AUTOR(EN):
Anna Donata Quaas