Auf Preisanreize für Kleinbauern setzen
Häufig fördern Hilfswerke Methoden des nachhaltigen Landbaus, um Kleinbauern zu dauerhaften Ertragssteigerungen zu verhelfen. Die gängigen Mittel dazu wie Beratungsdienste und die Bereitstellung von Saatgut oder Vieh haben zwar Erfolge erzielt. Aber gerade den ärmsten Bauern helfen sie nur sehr begrenzt. Peter Rottach stellt einen anderen Weg zur Diskussion: Könnten Hilfswerke besser durch zeitlich begrenzte Subventionen für die Erzeugerpreise Modelle für die Lebensfähigkeit ländlicher Räume schaffen?
von Peter Rottach
Die Frage “Was haben Sie denn heute schon gegessen?” kommt für die Dorfgruppe im Hochland Äthiopiens offensichtlich überraschend. Obwohl sie dank internationaler Projektförderung schon öfter ausländischen Besuch hatte, will zunächst niemand dem fremden Europäer den aktuellen Speisezettel anvertrauen. Einheimische Projektmitarbeiter kommen schließlich der Sache auf die Spur. “Die Menschen schämen sich ihrer Armut”, so die Auskunft. “Kaum jemand hat die vergangenen Tage mehr als Kohl und rote Beete gegessen.” Die letzten Getreidereserven sind kurz vor Beginn der neuen Ernte längst aufgebraucht und Bargeld, um sich das in der äthiopischen Küche eigentlich unverzichtbare Fladenbrot Inschera kaufen zu können, steht nur sehr begrenzt zur Verfügung. Unter anderem dann, wenn die Dorfbewohner das trockene Laub der ausgedehnten Eukalyptuswälder sammeln und als Brennmaterial auf dem acht Kilometer entfernten Markt verkaufen. Für einen 70-Liter-Sack erhalten sie zwei Birr, was zum Kauf von einem Kilo Weizen ausreicht.
Die Aussagen der Dorfbewohner belegen, dass das Projektziel “Ernährungssicherheit” noch weiterer Anstrengungen bedarf. Erreicht werden soll es mit Hilfe nachhaltiger Anbaumethoden, die zu einer langfristigen Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktivität führen. Erosionsschutz, Fruchtfolgen, organische Düngung und Anbau von Viehfutter, aber auch moderne Getreidesorten, die den traditionellen im Ertrag überlegen sind, gehören zum Standardrepertoire solcher Entwicklungsprojekte - nicht nur im äthiopischen Hochland. Eine Untersuchung von 200 Projekten weltweit, die Greenpeace und “Brot für die Welt” im Jahr 2000 vorgelegt haben, zeigt: Auf diese Weise lassen sich die Erträge gegenüber der traditionellen Landbaupraxis um durchschnittlich fast einhundert Prozent steigern, ohne dass die ländliche Bevölkerung von teuren Agro-Chemikalien abhängig würde.
Trotz dieser Erfolge ist der nachhaltige Landbau weit davon entfernt, die vorherrschende Anbauform in Tropen und Subtropen zu sein. Statt dessen lässt sich beobachten, dass sich Bäuerinnen und Bauern aus dem Technologiepaket das herauspicken, was für sie schnelle und spürbare wirtschaftliche Erfolge verspricht. Im äthiopischen Hochland ist dies das verbesserte Saatgut, das sich in die gewohnten Betriebsabläufe einfügt und bei gleichem Aufwand einen höheren Ertrag bringt.
Besonders die ärmere Bevölkerungsschicht steht erfahrungsgemäß jenen Innovationen zögerlich bis ablehnend gegenüber, die Investitionen an Arbeitskraft und natürlichen Ressourcen wie Dünger, Saatgut oder Baumaterial erfordern, sich aber erst über Jahre hinweg auszahlen. Beratungsdienste, die übliche Form der Vermittlung solcher Innovationen, finden deshalb mehr Anklang bei größeren, wirtschaftlich besser gestellten Betrieben, die nicht auf sofortigen Mehrertrag angewiesen sind.
Ein zusätzliches Problem ist die Abwanderung in die Städte. Auch die Armen produzieren mittlerweile nicht mehr ausschließlich für den Eigenbedarf, weil fast überall auf der Welt Bargeld für Kerosin, Haushaltsgegenstände oder Kleidung benötigt wird. Die vermeintlichen Segnungen westlich geprägter Konsumgesellschaften haben selbst in abgelegensten Bauerngesellschaften Bedürfnisse hervorgerufen, die über reine Ernährungssicherheit und Selbstversorgung hinausgehen. So stellt sich für eine junge Familie immer drängender die Frage, ob Ernährungssicherheit in der Stadt nicht schneller und einfacher zu erreichen ist als durch mühevolles Abrackern auf dem bäuerlichen Betrieb. Zudem bietet das Stadtleben Freiräume für eine gute Schulbildung und Gesundheitsversorgung der Kinder. Die Abwägung fällt weltweit immer mehr zugunsten der Städte aus. Schon in zehn bis fünfzehn Jahren wird über die Hälfte der Weltbevölkerung in städtischen Ballungszentren zuhause sein. Selbst in Äthiopien, einem wenig verstädterten Land, gibt es Wanderbewegungen vom Land in die Städte. Sie sind meist zeitlich befristet und können als Versuch der Landbevölkerung verstanden werden, ihre Einkommensquellen zu diversifizieren.
Um die bäuerliche Bevölkerung auf dem Land zu halten, muss Geld in ihre Taschen fließen. Unter den Vorzeichen von Subventionsabbau, Freihandel und internationalem Wettbewerb wird das Gegenteil erreicht: Nicht konkurrenzfähige Agrarstandorte fallen brach und sind weiterer Verarmung und Abwanderung preisgegeben. Entwicklungshilfe kann diesen Trend sicher nicht aufhalten. Sie kann aber modellhaft aufzeigen, wie dem Niedergang ländlicher Räume Einhalt geboten werden kann und gleichzeitig landwirtschaftliche Ressourcen für zukünftige Generationen erhalten werden. Ein Ziel, das in Anbetracht des Bevölkerungswachstums unerlässlich erscheint.
Dazu braucht es in der Entwicklungszusammenarbeit Mut, auch einmal über den eigenen Schatten zu springen. Beispielweise statt der üblichen Beratungsdienste oder Produktionsmittel (Saatgut, Geräte, Nutztiere), die kaum mit finanziellen Anreizen einhergehen, stabile und attraktive Erzeugerpreise anzubieten. Wenn es darum geht, die landwirtschaftliche Produktion zu erhöhen, verhalten sich Bäuerinnen und Bauern in Afrika nämlich nicht anders als in Europa oder den USA: Sie reagieren auf Preisanreize. Die Geschichte der EU-Landwirtschaft nach dem zweiten Weltkrieg ist sicher alles andere als eine reine Erfolgsgeschichte, doch zeigt sie immerhin das Prinzip, dass mit verlässlichen und profitablen Erzeugerpreisen die danieder liegende Produktion erhöht werden konnte.
In der Entwicklungszusammenarbeit sind verschiedene Formen solcher Preissubventionen denkbar. Zum einen Kombinationen mit Nahrungsmittelhilfe. Es gehört ja zu den Grundsäulen verantwortungsbewusster Nothilfe, Lebensmittel in erster Linie vor Ort, also in der Nachbarschaft der Hungergebiete zu beschaffen. Wer dabei Agrarerzeugnisse nur nach Preiskriterien aufkauft, unterstützt primär die großen Produzenten. Besser wäre es, im Gebiet von Projekten zu kaufen, die auf eine Verbesserung der Erträge abzielen, und so gezielt Nachfrageimpulse für die Nutznießer der Projekte auszulösen. In vielen Hungerregionen gibt es einen kontinuierlichen, langdauernden Bedarf an Lebensmittelhilfe, so dass auch dauerhafte und gezielte Anreize zur Produktionssteigerung ausgelöst werden können.
Preisanreize lassen sich auch an Techniken des nachhaltigen Landbaus koppeln. Wer beispielsweise als Agrarbetrieb vorab vereinbarte Anbaupraktiken einsetzt, bekommt einen Zuschlag für seine Ernteprodukte. Der Projektträger kauft die Ernte zu den vereinbarten Bedingungen auf und verkauft sie anschließend zu den ortsüblichen Preisen auf lokalen Märkten oder an Zwischenhändler. Im Hinblick auf längerfristige Vermarktungsmöglichkeiten über die Laufzeit des Projektes hinaus ist es ratsam, zusätzlich Verbraucheraufklärung zu betreiben, Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaften herauszubilden sowie lokale Herkunfts- und Qualitätslabels zu entwickeln und bekannt zu machen. Das Ziel ist, nach Auslaufen der Projektförderung auch ohne Subventionen die nachhaltig erzeugten Produkte weiter zu vermarkten und nach Möglichkeit bis dahin Qualitätsmerkmale zu schaffen, die Verbraucherinnen und Verbrauchern höhere Preise wert sind.
Dafür wären in einer Projektregion mindestens drei Voraussetzungen zu schaffen: Erstens die Registrierung der am Projekt beteiligten landwirtschaftlichen Betriebe bzw. Haushalte. Das erlaubt eine gezielte Förderung besonders bedürftiger, förderungswürdiger Familien und Personen und verhindert, dass von den Begünstigten nicht selbst hergestellte Ware aufgekauft wird. Zweitens die Mitarbeit von Landwirtschaftsfachleuten, die beteiligte Betriebe kontinuierlich begleiten, je nach Notwendigkeit beraten sowie sicherstellen, dass die beabsichtigten Produktionszuwächse tatsächlich auf verbesserten Managementpraktiken beruhen. Drittens eine Aufkaufs-, Lagerungs- und Transportlogistik, die nach Möglichkeit von Anfang an in der Selbstverwaltung der beteiligten Familien liegen sollte. Das mag alles recht kompliziert klingen. Es unterscheidet sich jedoch von den Praktiken des fairen Handels oder der zertifizierten ökologischen Produktion nur dadurch, dass keine Weltmarktprodukte gehandelt werden, sondern der lokale Markt mit traditionellen Grundnahrungsmitteln im Mittelpunkt steht.
Gegen Preissubventionen wird oft eingewandt, dass sie die Nutznießer von einem Projekt abhängig machen - etwas, das die Entwicklungshilfe mit allen Mitteln zu vermeiden sucht. Daran soll auch nicht gerüttelt werden, denn Subventionen wären wie alle Entwicklungsprojekte zeitlich begrenzt, und dies muss den Beteiligten auch von Anfang an deutlich vermittelt werden. Wenn es aber im Laufe des Projektes gelingt, Methoden des nachhaltigen Landbaus zu vermitteln, dann dürfte am Ende der Projektförderung die Produktivität des betreffenden Standortes höher sein als zu Beginn, so dass die Betriebe auch ohne Subventionen nicht wieder auf das Ausgangsniveau ihrer landwirtschaftlichen Arbeit zurückfallen. Aufgrund der Produktivitätssteigerung reichen schon die ortsüblichen Preise, um besser dazustehen als zu Beginn der Förderung. Trotzdem sollte auch nach Konsumenten gesucht werden, die bereit und in der Lage sind, mehr zu zahlen.
Das Abhängigkeitsargument ist häufig gerade von denen zu hören, die landwirtschaftlichen Subventionen generell skeptisch gegenüberstehen und eher dem freien Wirken des Marktes das Wort reden. Dabei ist ein moderner Exportbetrieb, der grüne Bohnen für den Weltmarkt produziert, ohne Zweifel hochgradig abhängig von fernen Absatzmärkten und Konsumgewohnheiten, von internationalen Handelsketten und lokalen Zwischenhändlern. Das hat sich beispielsweise im Fall von Kaffee tausendfach als Ursache großer Armut und Not erwiesen. Solche Abhängigkeiten wären im Falle der subventionierten Produktion von Grundnahrungsmitteln nicht zu befürchten.
In Äthiopien gibt es Regionen, in denen die Landwirtschaft zur Selbstversorgung nicht ausreicht und die bäuerliche Bevölkerung einige Monate Lebensmittelhilfe braucht. Selbst solche Defizitbetriebe können von attraktiven Erzeugerpreisen profitieren, wenn der Verkauf der geringen eigenen Produktion so viel Erlös einbringt, wie zum Kauf der insgesamt benötigten Lebensmittel erforderlich ist. Das wäre allemal besser, als den Menschen das Geld oder die Lebensmittel einfach zu schenken. Nicht nur weil ihnen so das Gefühl gegeben wird, mit eigener Hände Arbeit ihre Ernährung zu sichern, sondern auch weil damit die Motivation verbunden wird, den Arbeitseinsatz aufrechtzuerhalten oder gar noch zu steigern. Die Lebensmittelhilfe setzt solche Anreize kaum, denn eine höhere Eigenproduktion schlägt sich in der Regel in reduzierter Nahrungsmittelhilfe nieder.
Die höheren Preise müssen nicht notwendigerweise in der nationalen Währung, sondern könnten auch mit Hilfe eigens geschaffener lokaler Zahlungsmittel (Regio-Geld) gezahlt werden. So würde die Kaufkraft ausschließlich der betreffenden Region zugute kommen und Wachstumsimpulse in nicht landwirtschaftlichen Sektoren auslösen. Beispiele hierfür gibt es zunehmend überall auf der Welt.
Entwicklungshilfe stellt immer eine bestimmte Form von Subventionierung dar. Preissubventionen sind bisher eher die Ausnahme und passen nicht ins Bild des neoliberalen Weltwirtschaftssystems. Vielleicht sind sie gerade deshalb geeignet, den Verlierern dieses Systems adäquate Unterstützung zukommen zu lassen.
aus: der überblick 04/2004, Seite 128
AUTOR(EN):
Peter Rottach:
Peter Rottach ist Referent für Ernährungssicherheit, Landwirtschaft und Umwelt bei "Brot für die Welt" in Stuttgart.