Auch bei Hilfs- und Missionswerken kann Korruption vorkommen
Wer sich als Kämpfer gegen die Korruption darstellt, kann des Beifalls gewiss sein. Zumeist sind es Politiker oder nichtstaatliche Organisationen wie Transparency International, die gegen Korruption vorgehen wollen. Bei Kirchen und Hilfswerken hört man dagegen wenig vom Kampf gegen die Korruption. Warum nicht? Gibt es das Übel dort nicht? Oder mag man nicht darüber sprechen? Der Direktor des Nordelbischen Zentrums für Weltmission und Kirchlichen Weltdienst nimmt Stellung
von Klaus Schäfer
Wer kämpft am meisten gegen Korruption? Zuerst brüsteten sich Regierungen damit, energisch gegen das Übel vorzugehen. Antikorruptionskämpfer aus der Zivilgesellschaft waren lange Zeit noch nicht so aufgetreten, wie es die weltweit verbreitete Korruption erfordert hätte. Und dass "Korruption (zu) bekämpfen" im Kontext der missionarisch-ökumenischen und entwicklungsbezogenen Zusammenarbeit auch "eine drängende Aufgabe für Hilfswerke, Missionen und Kirchen ist", hat als erster wohl Christoph Stückelberger angemahnt. Im Jahre 1999 hatte er als damaliger Zentralsekretär des schweizerischen Hilfswerks "Brot für alle" einen wichtigen Text zu diesem Thema veröffentlicht.
Es wäre in der Tat naiv anzunehmen, dass nicht auch Hilfs- und Missionswerke mit Korruption konfrontiert sind. Entwicklungszusammenarbeit im nichtstaatlichen Bereich und bei eher pastoral angelegten Projekten und Programmen, wie sie auch von Missionswerken unterstützt werden, vollzieht sich in der Regel in einem Umfeld, das nicht frei von Korruption ist. Diese tritt etwa auf als Missbrauch öffentlicher Macht, wenn jemand seine Befugnis zur Vergabe von Finanzmitteln für private Zwecke nutzt. Dann gibt es beispielsweise die so genannte Beschleunigungskorruption: Nur mit Hilfe von Schmiergeldzahlungen kann man erreichen, dass eine Aufgabe einigermaßen reibungslos und rasch erledigt wird. Daneben trifft man auf Beschaffungskorruption, bei der man bestimmte Dienstleistungen kaufen muss, beispielsweise die Gewährung eines Passes oder eines Visums, die Aufnahme in einer Schule, die Gewährung eines Studienplatzes oder selbst die Möglichkeit, sich um einen Job bewerben zu können. Solche Korruption geht vor allem zu Lasten der Armen, denn diese haben in den Ländern des Südens selten genug Geld für solche Zahlungen und haben deshalb das Nachsehen.
In meiner eigenen gut fünfjährigen Tätigkeit in Indien bin ich selbst immer wieder mit diesen Dingen konfrontiert worden. Die mehrfache deutliche Aufforderung eines Regierungsbeamten, der mir die Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung nur gegen einen kleinen Beitrag für die Finanzierung der Hochzeit seiner Tochter ausstellen wollte, ist nur ein Beispiel für eine Erfahrung, die viele Menschen immer wieder machen, die ihnen ihre Ohnmacht vor Augen führt und ihre Verbitterung oder Wut wachsen lässt.
Weder Kirchen, mit denen die Hilfs- und Missionswerke ja in der Regel zusammenarbeiten, noch nichtstaatliche Organisationen (NGOs) sind schon per se frei von solcher Korruption. Zwar darf man keinesfalls pauschalisieren, aber der Zugang auch zu kirchlichen Schulen erfordert mitunter die Zahlung eines Betrages, der in die Taschen des Schulleiters fließt. Auch in der Kirche gibt es nicht selten einen durch Bestechung und Manipulation geprägten "run" auf Leitungspositionen mit Verfügungsgewalt über Gelder oder in denen man private Vorteile für sich und seine Familie oder seine Klientel ziehen kann. Zumal wenn die Großfamilie oder Klientel jemandem zu solch einem Amt verholfen haben, erwarten sie, dass sie anschließend von dem Amtsinhaber auch begünstigt werden. So kommt es dann beispielsweise zur Abzweigung und Umleitung von Projektmitteln, die aus dem Ausland kommen oder auch und das ist meines Erachtens nach sehr viel verbreiteter zum Missbrauch von Mitteln, die schon im Lande selbst oder dort zu generieren sind. Ein notorisches Beispiel dafür sind etwa Manipulationen beim Verkauf von Land, das der Kirche gehört.
Solch ein Teufelskreis lässt sich besonders gut in der großen Politik beobachten: Jemand braucht Geld und Unterstützung von Menschen, um in ein Amt zu kommen, und dann wieder, um mit den Möglichkeiten dieses Amtes seine Förderer zu kompensieren. Auch in den Kirchen kommt so etwas vor, wenngleich man nicht sagen kann, das sei normal. Ebensowenig kann man sich des Verdachts erwehren, dass gewisse NGOs bestimmte Projekte nur zu dem Zweck entworfen haben, um den Trägern lukrative Einnahmequellen zu verschaffen.
Man wird allerdings aus der nüchternen Wahrnehmung dieser Realität nicht den Schluss ziehen dürfen, dass die international operierenden Werke für Entwicklungszusammenarbeit und Mission selbst die Korruption fördern. Zwar kommen auch in ihrem Bereich Missbrauch von Geldern, Bestechung, Bestechlichkeit und auch die ungenierte Bereicherung Einzelner vor. Aber die Werke haben sich einem Ethos verpflichtet, das dem entgegensteht. Entsprechende Akzente setzten Entwicklungsdienste wie der EED, Brot für die Welt und andere Organisationen auf der einen Seite und die Missionswerke auf der anderen. Sie haben sich beispielsweise dem Kampf gegen Armut und der Förderung gerechter Lebensbedingungen gerade auch für die Ärmsten der Armen verschrieben. Der leitende Begriff der Partnerschaft gilt sowohl für ihre Entwicklungszusammenarbeit als auch für die Mission. Gerade in der ökumenischen Diskussion über das Teilen von Ressourcen wurden Prinzipien von Transparenz und wechselseitiger Rechenschaftspflicht entwickelt. Und die schließen die Verpflichtung zur angemessenen Verwendung der Mittel ein. Dass dies Korruption verwerflich erscheinen lässt und ausschließen will, ist zumindest implizit eine Selbstverständlichkeit.
Die Werke achten also grundsätzlich darauf, dass Korruption bei der Mittelvergabe und der Verwendung der Mittel keine Chance hat. Aber gerade deshalb muss man darauf aufmerksam machen, dass sich vielleicht im Kontext der internationalen Projektförderung im kirchlichen Bereich Hemmungen einstellen können, deutlich über Korruption zu reden und Konsequenzen aus Erfahrungen mit Korruption zu ziehen, wenn diese trotz alledem vorkommt.
Die Scheu, darüber zu reden, hat auch einen geschichtlichen Hintergrund: eine von den Völkern des Südens um es vorsichtig zu sagen zumindest ambivalent erlebte Kolonial- und Missionsgeschichte, die in der kirchlichen Zusammenarbeit nachwirkt und erheblichen Einfluss auf die Kommunikation zwischen Nord und Süd hat. Missionswerke und Entwicklungsdienste sind sich heute der Problematik der Missions- und Kolonialgeschichte durchaus bewusst. Das aber kann dazu führen, kritische Anfragen an den Süden zu unterdrücken, während umgekehrt Repräsentanten aus dem Süden kritische Kommentare und Hinweise seitens ehemaliger Kolonialherren auf Korruptionsanfälligkeit oder Korruptionsgefährdung in Entwicklungsländern nicht leicht goutieren. Dass Kolonialismus und Mission selbst auch Strukturen von Korruption gelegt und gefördert haben so hat es etwa die kenianische Friedensnobelpreisträgerin Wangari Maathai auf der 9. Internationalen Antikorruptionskonferenz in Durban im Jahre 1999 gesagt ist zwar richtig, führt aber einerseits im Norden zu Hemmungen, Korruption zu thematisieren, weil dies als Arroganz verstanden werden könnte. Im Süden andererseits führt es nicht selten zu einem Verdrängungsmechanismus, der jede kritische Bemerkung zu möglicherweise korruptionsanfälligen Strukturen als unzulässige Einmischung oder gar als eine Form von Neokolonialismus brandmarkt.
Dieses Kommunikationsmuster findet sich auch im Blick auf den Begriff der Partnerschaft. Der ist positiv belegt und kann vielleicht gerade deshalb mitunter einen nüchternen Blick auf die Realität der Beziehungen verschleiern und das Anpacken von Problemen der Korruptionsanfälligkeit erschweren. Oftmals wird zu Recht gegen die fortdauernde Dominanz des Westens der Vorwurf erhoben, beim Partnerschaftsgedanken handle es sich um eine "Mogelpackung". Dieser Vorwurf darf aber auf der anderen Seite nicht zur Immunisierung gegenüber einer Rechenschaftspflicht führen, die als anmaßend empfunden wird. Dass Partnerschaft wechselseitige Verantwortung bedeutet, wird dann leicht ausgeblendet.
Hinzu kommt noch ein anderer Aspekt: Entwicklungsdienste des Staates und von NGOs können die Partnerschaft, die vertraglich für einen begrenzten Zeitraum zur Erreichung bestimmter Entwicklungsziele vereinbart wurde, auch relativ leicht wieder beenden. Missionswerke und Kirchen sind ihren Partnerkirchen gegenüber angesichts einer oft schon über ein Jahrhundert dauernden Beziehung sehr viel stärker und grundsätzlicher verbunden. Dies muss nicht notwendig bedeuten, dass man über Korruption leichter hinwegsieht, macht aber die Bearbeitung von Problemen der Korruption sehr viel komplizierter.
Selbst wenn man die finanzielle Förderung von Projekten und Programmen einer Partnerkirche einstellt, bleibt doch in der Regel der Wille bestehen, an der Partnerschaft festzuhalten. Beratungen und Konsultationen, Streit und Auseinandersetzung mit der Partnerkirche oder Einrichtungen der Partnerkirche finden dann oft hinter verschlossenen Türen statt.
Ein weiteres Hemmnis, offen und auch offensiv über Korruption zu sprechen, liegt schließlich in dem Image-Schaden, den insbesondere Organisationen befürchten, welche die Gelder für ihre Projektförderung durch Spendenwerbung generieren. Die Annahme allerdings, dass sich ein gewisses Maß an Korruption angesichts des kulturellen Umfeldes nicht vermeiden lasse was eine Form von Verharmlosung des Problems darstellt ist heute wohl nur noch bei Repräsentanten einer älteren Generation zu finden. Zu offensichtlich sind heute die Schäden, die Korruption sowohl für die Gesellschaft als auch für die Kirchen verursacht.
Auch wenn die Versuchung besteht, aus den hier genannten Gründen das Problem der Korruption in der Entwicklungszusammenarbeit eher nicht zu thematisieren, kann keine Rede von einer gänzlichen Tabuisierung der Problematik sein. Die Entwicklungsdienste sind bei der weltweit agierenden NGO Transparency International engagiert, die sich dem Kampf gegen Korruption verschrieben hat.
Die Missionswerke haben sich ihrerseits diesen Fragen zumindest in Ansätzen gestellt. So hat etwa das Missionswerk der Bayrischen Landeskirche schon vor einigen Jahren eine öffentliche Tagung zu Fragen von Korruption veranstaltet, die auch ein großes Echo in der Presse gefunden hat. Ähnliches ist bei der Vereinten Evangelischen Mission (VEM) in Wuppertal geschehen, wo man auch über einen Verhaltungskodex der Mitgliedskirchen der VEM beraten und die Auseinandersetzung mit Korruption zu einem wichtigen Schwerpunktthema gemacht hat. Unter der Federführung des Evangelischen Missionswerkes in Deutschland (EMW) fand im Februar 2002 in Wuppertal ein Fachgespräch von Missions- und Entwicklungswerken statt. Ausgewiesene Experten wie Christoph Stückelberger und der Generalsekretär des Deutschen Caritasverbandes, Georg Cremer, haben dort dazu beigetragen, das Problembewusstsein zu schärfen und eine gemeinsame Haltung gegenüber den Herausforderungen zu finden, die der internationalen kirchlichen Zusammenarbeit durch das Gift der Korruption gestellt werden.
Dass die damals begonnene Diskussion allerdings in den Ansätzen stecken geblieben ist, ist bedauerlich. Eine entschiedene und nachhaltige Auseinandersetzung, die auch den Dialog mit den Partnern einschließt und den Kampf gegen die Korruption auch zu einem öffentlichen Anliegen macht, steht immer noch aus.
aus: der überblick 02/2006, Seite 42
AUTOR(EN):
Klaus Schäfer
Dr. Klaus Schäfer ist Direktor des Nordelbischen Zentrums für Weltmission
und Kirchlichen Weltdienst (NMZ), Hamburg.