Welche Alternativen haben Christen, die Friedfertigkeit zu fördern?
Die für das "moderne" Leben typische Kultur der Gewalt wurzelt in Wettbewerb, Erfolgsstreben und unverzüglicher Befriedigung von Wünschen. Das Evangelium Christi aber predigt statt Verdrängungskonkurrenz Feindesliebe. Und Gandhi hat gesagt, unsere Welt habe genug für den menschlichen Bedarf, aber nicht genug für menschliche Habgier. Er hat gezeigt, wie man durch einfachen Lebensstil, durch die Ernährungsweise, die Art, zu reden und sich zu kleiden, zur Gewaltfreiheit beitragen kann.
von Kondothra George
Die Menschen in Indien und Pakistan hatten große Erwartungen in das Gipfelgespräch zwischen den Führungskräften ihrer Länder gesetzt, das unlängst in der historischen Stadt Agra in Indien stattfand. Die Hoffnungen auf Frieden und ein Ende der Gewalt wurden jedoch nicht erfüllt. Das war eine herbe Enttäuschung für ganz Südasien und für friedliebende Menschen weltweit.
Es ist das Tragische in unserer Welt, dass Menschen zu den Waffen greifen müssen, weil politische Entscheidungen getroffen werden, an denen sie keinen Anteil haben und mit denen sie nicht einverstanden sind. Warum nur versuchen politische Führungskräfte immer noch, Konflikte durch Gewaltanwendung zu lösen? Warum haben Gesellschaften nach all den schrecklichen Erfahrungen der Vergangenheit noch nicht gelernt, ihre Differenzen untereinander friedlich beizulegen?
Wenn wir die verschiedenen Formen von Gewaltanwendung betrachten, stellen wir fest, dass das Thema von Gewalt oder Gewaltfreiheit keine Frage von schwarz und weiß ist. Zwar können wir die krassen Formen von Gewaltanwendung leicht erkennen, die im häuslichen und gesellschaftlichen Leben sowie in Konflikten und Kriegen vorkommen, doch unzählige subtile Formen von Gewalt in unserem täglichen Leben bleiben unbemerkt. Es ist zwar leicht, Gewalt in Spielfilmen und Reportagen im Fernsehen zu erkennen und zu verurteilen. Der subtile und verführerische Teil aber sind die Werbespots. In den Geschäftsstraßen eines armen Landes, das der Globalisierung ausgesetzt ist, kleben Gruppen von hungrigen und elenden Straßenkindern an den Schaufenstern von Fernsehgeschäften und sehen dort Werbespots mit Kindern, die in Reichtum und Sicherheit alle möglichen köstlichen Speisen genießen, etwa ein Speiseeis oder eine Schokolade oder ein Erfrischungsgetränk.
Dass die armen Kinder dadurch angeregt würden, hart zu arbeiten, um den gleichen Lebensstandard zu erreichen, ist nur verantwortungsloses Gerede der Reichen. Die Situation ist skandalös unmenschlich. Wer von uns dafür verantwortlich ist, dass Kinder in eine solche Lage geraten, lädt eine zweifache Schuld auf sich: nichts zu tun, um die Situation dieser armen Kinder zu verbessern, und sie mit den falschen Wertvorstellungen einer verschwenderischen Konsumgesellschaft zu ködern. Die Kinder erleiden eine doppelte Erniedrigung: Sie können nicht das Leben eines gut versorgten Kindes genießen; und sie müssen dabei in Selbstmitleid zusehen, wie andere Kinder in einem anderen Teil unserer kleinen Welt im Überfluss leben.
Das ist eine Erfahrung, die Gewalt in die zarten Herzen dieser Kinder sät. Später kann sich so etwas in krassen Formen von Konflikt und Brutalität in der Gesellschaft Luft machen. Die Kommunikationstechnik und Suche nach Konsumenten weltweit und die Gier nach immer mehr Profit säen die Saat von Gewalt weltweit. Es ist jedoch schwer, das Potential an Gewalt festzustellen oder die dafür Verantwortlichen zu benennen.
Können die Religionen eine andere Lebensweise lehren? Alle Religionen enthalten reichlich Quellen für ein friedliches Dasein. In Asien entstammen einige der ehrwürdigsten Traditionen der Lehre und Praxis des Friedens dem Buddhismus und dem Jainismus im 6. Jahrhundert vor Christus. Mahatma Gandhi hat aus diesen Quellen geschöpft, als er seiner eigenen Praxis der Ahimsa oder Gewaltfreiheit Gestalt gab. Buddha lehrte den Weg der Karuna oder des tiefen Mitleids. Das wurde auf alle fühlenden Geschöpfe ausgedehnt. In diesem System war kein Platz für Gewalt oder Feindseligkeit. Vardhamana Mahavira, der Gründer der Jain-Religion, lehrte seine Anhänger den Weg der vollkommenen Ahimsa gegenüber allen Geschöpfen, wie klein und unbedeutend sie auch sein mögen. Beide Traditionen haben eine hochasketische und monastische Lebensweise geschaffen, die einigen Formen der christlichen klösterlichen Tradition sehr ähnlich ist, etwa ihren Werten des einfachen Lebens in Gemeinschaft, des Verzichts auf Besitztümer, des Miteinander-Teilens und des Mitleids und der Gastfreundschaft gegenüber allen.
Der Buddhismus hat sich in die meisten asiatischen Länder ausgebreitet, doch stets nur mit friedlichen Mitteln. Die buddhistischen Missionen, die vom indischen Kaiser Asoka im 3. Jahrhundert vor Christus begonnen wurden, lassen sich als großartigstes Beispiel einer friedlichen Religionsmission in der Geschichte bezeichnen. Sie stehen in krassem Gegensatz zu den aggressiven christlichen kolonialen Missionen, die im 15. Jahrhundert begannen. Man kann auch die Verhaltensweisen der beiden Kaiser Asoka und Konstantin gegenüberstellen, der eine als Schirmherr des Buddhismus, der andere als Verfechter des Christentums. Asoka wurde zum Buddhismus nach einem blutigen Krieg bekehrt, in dem er das unsagbare Elend sah, das Menschen infolge seiner Gewaltakte zu erleiden hatten. Er legte alle Waffen nieder und gestaltete sein Reich in ein pazifistisches um, wo nicht nur Menschen, sondern auch Tiere und Pflanzen in völligem Frieden und in völliger Eintracht lebten. Seine Mission in verschiedenen asiatischen Ländern begann mit völliger Abrüstung und dem Evangelium der Karuna oder des Mitleids gegenüber allen.
Die Geschichte des Römischen Reiches im 4. Jahrhundert verlief völlig anders. Der Legende zufolge begann Konstantins militärischer Feldzug damit, dass Fahnen seiner Streitkräfte mit dem Emblem des Kreuzes gekennzeichnet wurden. Er ergriff die Waffen, statt dass er sie ablegte, als er mit der Mission begann, das Römische Reich zum Christentum zu bekehren. Die imperiale Mission begann mit einem blutigen Sieg Konstantins über seine Feinde unter dem "Schutz" des Kreuzes. Bald war die Friedfertigkeit des Geistes der christlichen Märtyrer vergessen, die still die Gewalt erduldet hatten, die ihnen von Konstantins Vorgängern angetan worden war. Trotz des konstantinischen Triumphes, der Kreuzzüge im Mittelalter, der westlichen kolonialen Aggression gegen den Rest der Welt und der vielen christlichen Religionskriege wird das Evangelium immer noch geschätzt wegen der Qualität von Frieden und Versöhnung, die es schaffen kann.
Gandhi lehrte, dass die Überwindung der Gewalt letztlich eine spirituelle Aufgabe ist, die somit nicht völlig staatlichen Stellen übertragen werden kann, deren Pflicht die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung ist. Polizei und Streitkräfte können gegen krasse Formen der Gewalt vorgehen, aber sie können keine Kultur von Frieden und Gewaltfreiheit fördern. In diesem Kontext erhalten die spirituellen Kräfte Bedeutung, die die Weltreligionen verleihen.
Die Bewegung der Gewaltfreiheit (Ahimsa), die Mahatma Gandhi gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Südafrika und im 20. Jahrhundert in Indien initiierte, verdient unsere Beachtung als einzigartiges Phänomen in der modernen Menschheitsgeschichte. Zwar ist Ahimsa eng mit Indiens Freiheitskampf verknüpft, doch lässt sie sich nicht darauf beschränken. Die Bewegung Gandhis war eine Mischung des spirituellen Genius asiatischer Religionen wie Hinduismus, Buddhismus, Jainismus und Christentum. Die buddhistische Bezeugung von Mitleid (Karuna) für alle fühlenden Wesen und die gewaltfreie und friedliche Einstellung des Jainismus gegenüber allen Geschöpfen bilden die Grundlagen der Ahimsa. Gandhi verband dies mit der Lehre Christi in den Evangelien, insbesondere der Bergpredigt, und dem persönlichen Beispiel Christi, Feinden zu vergeben und sie zu lieben. Auch von dem britischen Schriftsteller und Sozialreformer John Ruskin und den Schriften Tolstois war er stark beeinflusst. Die Bergpredigt, die in der Regel von christlichen Theologen als Ethik des Reiches Gottes und als zu utopisch für das tägliche Leben betrachtet wird, wurde in Gandhis spiritueller Formung ein einzigartiges praktisches Instrument für eine neue Lebensweise des Friedens und der Versöhnung in der Gemeinschaft. Eine neue Ethik des Lebens ward so geboren.
Diese Vorstellung der Gewaltfreiheit war eng verbunden mit der Idee von Satyagraha. Das Wort bedeutet entschlossenes Festhalten an der Wahrheit (von satya - Wahrheit und agraha - Festigkeit). Das ist kein passiver Widerstand, wie er in der Regel interpretiert wird. Es ist ein positiver Lebensstil und eine Strategie für Aktionen, in deren Mittelpunkt eine friedliche und gewaltfreie Haltung zum Leben und zu allen seinen Formen steht. Gandhi verwendete die gleiche "Waffe" in Südafrika gegen die Rassendiskriminierung der Weißen, beim langen Kampf um Indiens Unabhängigkeit von der britischen Herrschaft sowie angesichts der Massengewalt, die zwischen Hindus und Muslims nach der Gründung Pakistans ausbrach. Leider ist das Wort Satyagraha inzwischen weitgehend entwertet und wird für alle möglichen politisch motivierten Streiks und Demonstrationen verwendet.
Die für das "moderne" Leben typische Kultur der Gewalt wurzelt in Wettbewerb, Erfolgsstreben und der unverzüglichen Befriedigung von Wünschen. Die Progressisten haben große Schwierigkeiten damit, die Schönheit der empfindlichen Beziehungen zwischen dem Menschen und der Natur sowie zwischen den Menschen untereinander zu achten. Eine progressistische Kultur trägt Gewalt als unvermeidliche Voraussetzung für die menschliche Entwicklung in sich. Das gegenwärtige Streben nach Globalisierung in einem armen Land wie Indien orientiert sich an Fortschrittsmodellen, die auf lange Sicht nicht nachhaltig sind.
Die Menschheit muss deshalb zunächst einmal alternative Formen der menschlichen Entwicklung finden. Gandhi hat gesagt, unsere Welt habe genug für den menschlichen Bedarf, aber nicht genug für die menschliche Habgier. Örtlich verwurzelte, miteinander teilende und auf Bedarf gegründete Volkswirtschaften sind wesentlich für das Weiterbestehen von Leben auf Erden. Durch die Globalisierung der örtlichen Volkswirtschaften gehen jedoch auch die überkommenen Formen der engen menschlichen Wechselbeziehungen verloren, die auf dem Teilen unserer spirituellen und materiellen Ressourcen auf Ortsebene mit Blick auf den Bedarf unserer nächsten Nachbarn gegründet sind. Wir müssen diese traditionelle Weisheit unserer Gesellschaften wieder herstellen, die Gewalt örtlich einzudämmen und zu überwinden vermag, statt sie auf die ganze Welt zu übertragen.
Gewaltfreiheit impliziert einen ganzen Lebensstil, ein einfaches Leben, Besitzlosigkeit sowie Transparenz zur Wahrheit. Es ist nicht leicht, die Kultur der Gewaltfreiheit als Insel innerhalb eines wettbewerbsorientierten progressistischen gesellschaftlichen Wertesystems zu schaffen. Das erfordert eine soziale und moralische Neuordnung. Die gandhische Vision verliert in Indien gerade deshalb rasch an Bedeutung, weil sich Indien in dem Streben nach Fortschritt und einer Entwicklung westlicher Prägung der wilden Jagd nach Modernität angeschlossen hat. Auf lange Sicht wird das verheerende Auswirkungen auf die Umwelt und das Wohlergehen des Menschen haben. Die verbreitete Unterdrückung der Dalits (der Unberührbaren), der indigenen Völker und der Frauen wird von den Regierenden bei diesem Streben nach Fortschritt häufig ignoriert.
Gandhi selbst bezeichnete Satyagraha als "Seelenkraft" und stellte ihren spirituellen Inhalt und Charakter heraus. Er selbst war aktiv an der Entwicklung eines Lebensstils interessiert, der auf vegetarischer Ernährung, einfacher Kleidung und dem transparenten Streben nach Wahrheit und Reinheit in Worten, Gedanken und Taten aufgebaut war. Dass Gandhi handgewebte Kleidung als Protest gegen die von der britischen Kolonialmacht auferlegten Importe von Textilien aus England befürwortete, und sein persönliches Beispiel, nur ein einfaches Lendentuch zu tragen, hatte eine ungeheure Auswirkung auf den Freiheitskampf des Landes. Die Herstellung der eigenen Kleidung mit sehr einfachen örtlichen Verfahrensweisen hat den Wert und die Würde der Arbeit gefördert. So haben Millionen von Dorfbewohnern, vor allem Frauen, ein neues Gefühl der Verrichtung von produktiver Arbeit bekommen und diese hat ihnen ein kleines Einkommen und viel Selbstachtung gebracht. Das war Gandhis Weg, Solidarität mit den Armen zu zeigen und Gewalt durch konstruktives Handeln zu beseitigen. Es war nicht Widerstand gegen das Böse, wie es im heutigen politisierten Sinne verstanden wird, sondern eine aktive Demonstration der Macht und Würde des Menschen durch den einfachen und gewaltfreien Akt des Arbeitens, um das Böse zu beseitigen.
Diesem ganzen Lebensstil zufolge tragen die Nahrung, die wir zu uns nehmen, die Art, wie wir reden, und die Kleidung, die wir tragen, zur Praxis der Gewaltfreiheit bei. Es lässt sich nicht beweisen, dass Vegetarier aus sich selbst heraus weniger aggressiv sind als Fleischesser, doch die vegetarische Kost bedeutet zumindest, dass niemand um unserer Nahrung willen getötet wird - und Töten ist die schlimmste Form der Gewalt.
In diesem Lichte gesehen muss sich eine Initiative wie zum Beispiel das Programm des Ökumenischen Rats der Kirchen zur Überwindung von Gewalt mit dem Lebensstil der Konsumgesellschaft befassen. Nichts wird erreicht ohne eine radikale Infragestellung der Prämissen der gegenwärtigen "globalen" Zivilisation. Diese erzeugt viele Formen der Gewalt durch die soziale und wirtschaftliche Ungleichheit, die sie schafft, und ihre "Werte" des Wettbewerbs, der Globalisierung und der skrupellosen Ausbeutung der nicht erneuerbaren Ressourcen der Erde. Infolge der Vernetzung der Nationen durch die Informationstechnik und die zwangsläufige Abhängigkeit der armen Länder von den reichen Ländern dringt die Gewalt der Zivilisation in das Leben eines jeden Menschen auf Erden ein.
Aggressivität gegenüber der Natur und der Umwelt sind ein Teil des Gewaltthemas. Eine ausgeglichene und ökologisch ausgewogene und harmonische Umwelt verringert natürlich krasse Gewalt. Die Art, wie wir unsere Megastädte und Industriegebiete aufbauen und unseren Grund und Boden bearbeiten, führt uns vor Augen, wie wir den freien Raum knebeln und die Erde vergiften. Bei vielen dieser Aktivitäten geht es um das Streben nach größerem Profit und nicht um den Wunsch nach Verbesserung der Lebensbedingungen der Armen dieser Welt. Gewalt an der Erde und an der Umwelt wird nicht von den Armen verübt, sondern von den Reichen und Mächtigen.
Etliche Konflikte ergeben sich in armen Ländern aus der Frage, wie Energie erzeugt und genutzt wird. Die große Auseinandersetzung um das Narmada-Staudammprojekts in Indien zwischen den Umweltschützern und sozial Engagierten auf der einen Seite und der Regierung auf der anderen Seite ist ein typisches Beispiel. Zehntausende armer Menschen werden ihre geheiligte Heimaterde und traditionellen Kleinbauernhöfe verlieren, falls das Projekt in vollem Umfang durchgeführt wird - ganz abgesehen von den möglichen Umweltschäden. Auf der anderen Seite wird behauptet, dass Zehntausende anderer Menschen durch Bewässerungsmöglichkeiten und sicheres Trinkwasser davon profitieren werden.
Für welche Optionen müssen sich Christen entscheiden, um einen anderen Lebensstil zu praktizieren? Das Christentum muss sich von dem bedauerlichen Bündnis mit den ausbeuterischen Systemen und den umweltschädlichen Entwicklungsvorstellungen befreien, um eine Friedensbewegung zu werden. In vielen armen Ländern besteht leider vom Christentum das Bild einer hochorganisierten und aggressiven Institution, die nach dem Modell von Wirtschaftskonzernen funktioniert, auch wenn sie im Bereich der Bildung und Fürsorge für Kranke und Waisen viel Gutes tut. Man nimmt die offizielle Seite der christlichen Kirchen im Westen wie im Osten eher als etwas wahr, das auf der Seite der aggressiven Systeme der säkularen Welt steht. Auf den höheren Ebenen der Kirchen ist sehr wenig vom prophetischen Geist des furchtlosen Eintretens für Gerechtigkeit und Frieden verblieben.
Aber die Feindesliebe ist die schwierigste Aufgabe, die das Evangelium Christi uns stellt. Sie ist der eigentliche Test für die Authentizität des christlichen Glaubens. Das persönliche Beispiel Christi ist ein Modell, dem Christen folgen müssen. Gandhi ist ihm gefolgt, Martin Luther King und Nelson Mandela und viele Unbekannte sind ihm in unserer Generation gefolgt. Selbst wenn man dem bösen Tun oder den bösen Absichten des Feindes Widerstand leistet, muss man ihn lieben und versuchen, ihn zu erlösen, statt seine Zerstörung zu wünschen. Der Dalai Lama sagt häufig, unsere heutigen Feinde könnten unsere Eltern oder unsere Wohltäter in einem "früheren Leben" gewesen sein. Deshalb sollten wir ihnen dankbar sein, denn sie hätten für uns gesorgt. Statt Feindseligkeit rät er uns zu einer Einstellung von Dankbarkeit und Mitgefühl gegenüber den Feinden. Auch wenn wir nicht an eine Reinkarnation glauben, können wir das persönliche Beispiel des Dalai Lama und seinen gewaltfreien Kampf in der verzweifelten Situation seines tibetanischen Volkes würdigen.
Der Glaube an Christus erlaubt uns niemals, zu den Waffen zu greifen. Wir richten allerdings auch niemanden, der in einem verzweifelten und unmittelbaren Akt der Selbstverteidigung zu einer Waffe greift. Wir können aber Gewalt nicht legitimieren oder institutionalisieren, nur weil es individuelle Fälle gerechtfertigter Selbstverteidigung gibt. Wenn so etwas bei Nationen oder Gesellschaften legitimiert wird, ist das Ergebnis nur Krieg und Gewalt. Die einzige legitime Option für die christlichen Kirchen ist es, sich in jeder Situation der Gewalt, von der häuslichen bis zur globalen, um Vergebung und Versöhnung zu bemühen. Trotz aller gegenteiligen Zeugnisse aus der Geschichte glauben die Menschen immer noch, dass das Christentum eine Religion der Liebe ist. Das ist die Kraft des Evangeliums, auf die wir uns verlassen können.
aus: der überblick 03/2001, Seite 103
AUTOR(EN):
Kondothra George:
Kondothra M. George ist Dekan des Orthodoxen Theologischen Seminars in Kerala, Indien, der ältesten orthodoxen theologischen Schule in Asien. Er moderiert außerdem das Programmkomitee des Ökumenischen Rats der Kirchen und ist Vorsitzender des Dissertations-Forschungskomitees des Senats der Serampore Universität in Bangalore, Indien.