Über heikle Dinge reden
Um die Tabu-Themen im Partnerdialog ging es bei einem Workshop, den die Evangelische Zentralstelle für Entwicklungshilfe (EZE) und die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) am 15. und 16 September zusammen in Bonn veranstaltet haben. Denn in der Praxis der Projektplanung kirchlicher Entwicklungsorganisationen erhalten Themen wie HIV/AIDS, Genitalverstümmelung und die Frage der allein erziehenden Mütter nicht den Stellenwert, die diese Probleme in der afrikanischen Wirklichkeit haben. Mit tansanischen Partnerinnen wurde ausgelotet, wie der Spagat zwischen der kulturellen Rücksichtnahme und dem Problemdruck geschafft werden kann.
von Uwe Kerkow
"Über Verschuldung und Menschenrechte können wir reden, über heikle Dinge wie HIV/AIDS und Genitalverstümmelung nicht", stellte Angelika Spelten, die den Workshop konzipiert hatte, in ihrer Begrüßung fest. Das Augenmerk des Workshops lag daher nicht auf praktischen Aspekten von Projekten, sondern auf der Frage, was die deutschen Nichtregierungsorganisationen tun können und tun dürfen, um die tansanischen Partner von der Bedeutung und der Richtigkeit entsprechender Vorhaben zu überzeugen.
Nicht zuletzt die historischen Erfahrungen der Mission erinnern daran, wie behutsam man mit den kulturellen und traditionellen Gegebenheiten afrikanischer Gesellschaften umgehen muss. "Wir würden ja gerne Projekte zu diesen Themen machen oder entsprechende Komponenten für die laufenden Vorhaben aufnehmen", meinte Monika Hoffmann-Kühnel, Ostafrika-Referentin der EZE. Doch müsse sie immer wieder feststellen, dass von den Partnern nur wenige Anträge und Anfragen zu diesen Problemen kommen. Der erste Antrag zur Genitalverstümmelung ist erst vor kurzem aus Kenia eingetroffen. Den Partnern die Arbeit aufzudrängen, bedeute aber, einen der Grundsätze der Mittelvergabe zu missachten: Die Initiative für ein Projekt muss von den Beteiligten vor Ort ausgehen. Wegen fehlender Identifikation der Partner mit der Arbeit trügen anders zustande gekommene Vorhaben die große Gefahr des Scheiterns in sich.
Auch die tansanischen Besucherinnen waren sich dieses Widerspruchs bewusst. Sie sahen die Probleme teils bei den tansanischen Kirchenhierarchien und der konservativen Einstellung insbesondere vieler höherer Würdenträger. Gerade HIV/AIDS werde aber vom größten Teil der Gesellschaft tabuisiert, was die Arbeit erheblich erschwere. So berichtete Liberata Katondo vom Nationalen Institut für Erziehung zum Beispiel von dem tiefen Misstrauen, das dem Sexualkundeunterricht in tansanischen Schulen von Eltern und kirchlichen Stellen entgegengebracht wird. Hier sei ein Gespräch staatlicher Stellen mit den Kirchen nötig, um Missverständnisse in Zukunft auszuschließen.
Welche Bedeutung ein aktives Eingreifen von außen beim Thema HIV/AIDS hat, stellte Leila Sheikh von der tansanischen Vereinigung der in den Medien tätigen Frauen dar. Die Geber hätten einigen Druck auf die tansanische Regierung ausgeübt, einen verbindlichen und formellen Rahmen für eine nationale AIDS-Politik festzulegen. Dies sei unter anderem als Konditionalität für die Teilnahme an der HIPC-Entschuldungsinitiative festgesetzt worden. Auch wenn man nicht in allen Details mit dem Vorgehen der Geber einverstanden sein könne, habe der Druck die tansanische Regierung doch "aus ihrer Apathie" gerissen. Auch die Arbeit in den Medien habe erst danach angefangen, Früchte zu tragen. Auch Mackrine Rumanyika von der Erzdiözese Arusha betonte, dass Interventionen von Seiten der Partner in Ordnung seien, wenn "die Partnerschaft klaren Zielsetzungen dient".
Fremdsein als Chance: Unter diesem Stichwort könnte man viele Äußerungen der tansanischen Partner zusammenfassen. Wert wurde vor allem auf die Feststellung gelegt, dass die Europäer nicht dem sozialen Druck ausgesetzt seien, unter dem Einheimische leiden, wenn sie Tabuthemen angehen. Zudem könnten Fremde leichter Tabus ansprechen, da man ihnen ein solches Verhalten grundsätzlich eher zu verzeihen bereit sei.
Zudem wurde deutlich, dass die Partnerorganisationen oft Angst haben, ein schlechtes Bild in den Augen der hiesigen Kirchenverantwortlichen abzugeben. Professor Gerhard Grohs von der GKKE machte in diesem Zusammenhang auf die verschiedenen Stellungnahmen nationaler und internationaler kirchlicher Organisationen aufmerksam. In ihnen so zum Beispiel in den EKD-Texten Nr. 65 - werde die Genitalverstümmelung generell verurteilt. In Erklärungen zu HIV/AIDS werde zwar der Gebrauch von Kondomen nicht propagiert. Zumindest die deutsche lutherischen Kirchen und der Ökumenische Rat der Kirchen empfehlen jedoch, jeden möglichen Schutz vor Ansteckung einzusetzen. Offenbar seien diese Positionen in Afrika noch nicht ausreichend bekannt.
Vielleicht werden ja die deutschen und die tansanischen Bischöfe auf einer ihrer regelmäßigen Konsultationen demnächst auch diese Tabuthemen ansprechen. Wie wichtig das Verhalten der Kirchen ist, zeigt auch die Initiative der anglikanischen Bischöfe in Südafrika, die sich derzeit alle freiwillig einem HIV-Test unterziehen. Das Dialogprogramm der GKKE mit Tansania endet allerdings im Frühjahr 2001. Bleibt zu hoffen, dass ein Tansania-Netzwerk diese so wichtigen Gespräche aufnehmen und fortsetzen kann.
aus: der überblick 04/2000, Seite 137
AUTOR(EN):
Uwe Kerkow :
Uwe Kerkow ist freier Journalist in Bonn.