"Die Rollenverteilung muss klar bleiben"
Die Überschwemmungskatastrophe in Mosambik im Februar 2000 hat eine Flut von Medienberichten ausgelöst, die dann große Hilfsoperationen zur Folge hatten. Unter dem Eindruck dieser Erfahrung hat Außenminister Fischer Ende September zu einem Symposium eingeladen, auf dem das Verhältnis von Medien, Hilfsorganisationen und Politik kritisch beleuchtet wurde. "der überblick" dokumentiert die Beiträge von Thomas Gebauer und Horand Knaup zu diesem Sysmposium.
von Horand Knaup
Vorab gilt es zwei Missverständnisse zu klären. Erstens bin ich nicht hier, um im Namen des "Spiegel" zu sprechen. Das meiste, was mir am Verhältnis zwischen Medien und Hilfsorganisationen aufgefallen ist, trifft auch auf den "Spiegel" zu.
Zweitens, und damit bin ich schon mitten im Thema, hat es Veranstaltungen wie diese schon mehrere gegeben und wird es auch noch weitere geben, wenn man nicht versucht, die Geste des Helfens zu entmythifizieren. Man sollte sich der normativ-moralischen Komponente, die der Hilfe immanent ist, entledigen und ganz nüchtern fragen: Was wollen die Hilfsorganisationen? Was wollen die Medien? Und neuerdings muss man sich wohl auch fragen: Was will die Politik?
Dabei ist das Verhältnis von Medien und Hilfsorganisationen ein komplexes und diffuses. Es wurde selten beschrieben, nie wirklich definiert und bewegt sich in einem merkwürdig unklaren Raum.
Hilfsorganisationen verhalten sich wie alle Subjekte, mit denen wir Medienschaffenden zu tun haben: Politiker, Unternehmen, Parteien, Verbände - sie haben ureigene Interessen und versuchen, die Medien dafür zu instrumentalisieren. Das ist legitim, nicht ungewöhnlich und keineswegs unanständig. Was fehlt, ist von unserer, der Medienseite, der professionelle, nüchterne Umgang mit diesen Interessen. Dazu einige Thesen.
Erste These: Die Rollenverteilung muss klar bleiben. Medien dürfen sich beim Thema Helfen und bei Berichten über Hilfsorganisationen nicht plötzlich aus der Rolle des kritischen Berichterstatters herausbegeben. Die Kritik kann solidarischer Natur sein, aber eine kritische Distanz muss bleiben. Wenn sich die Medien mit den Hilfsorganisationen verbünden, aus welchen Gründen auch immer - ob sie nach Quoten streben, weil die Mischung aus Elend und sozialem Engagement ein prima Geschäft verspricht, ob sie sich Imagevorteile oder besondere Zugänge zu einem Land erhoffen - wenn sie sich verbünden, verlassen sie ihre Rolle: Sie geben ihre Unabhängigkeit auf, sie geben ihre Position preis. Wer erwartet vom ZDF noch eine kritische Betrachtung über Cap Anamur, wenn der Sender mit Rupert Neudeck eine Allianz eingeht? Wie wollen die Kollegen vom "Stern" noch objektiv über die Arbeit von Ärzte ohne Grenzen berichten? Völlig absurd wird das Verhältnis, wenn, wie bei der Oderflut geschehen, die Medien beginnen, den Hilfswerken vorzuschreiben, wie die Mittel verteilt werden sollen. Das hat in mindestens einem Fall dazu geführt, dass eine Hilfsorganisation das Geld zurückgezahlt hat. Spätestens bei der Oderflut wäre der Anlass gewesen, diese Art von Zusammenarbeit gründlich zu überdenken.
Zweitens: Man kann den Medien den CNN-Effekt durchaus vorwerfen. Soll heißen: spät kommen, skrupellos die Kameras draufhalten, schnell weiterziehen. Man muss das den Medien sogar vorhalten. Mehr aber noch muss man dieses Verhalten den Hilfsorganisationen ankreiden. Auch sie kommen häufig spät. Vor allem kommen sie gern dorthin, wo die Kameras sind. Ob sie Erfahrung in der spezifischen Art von Hilfeleistung haben, die gebraucht wird, ob sie Personal vor Ort oder Kenntnisse über die Mentalität der Bevölkerung haben - das spielt alles keine Rolle. Hauptsache dabei sein, Hauptsache, medial rüberkommen, Hauptsache, visuell erkennbar sein. Wenn sich die Hilfsorganisationen nicht wieder von diesen Reflexen befreien, wird das Verhältnis schwierig bleiben. Die Medien werden es nicht schaffen, sich dieser Mechanismen zu entledigen; die Hilfsorganisationen müssen es schaffen.
Drittens: Diese Organisationen haben sich in völlige Abhängigkeit von den vermeintlich unveränderlichen medialen Gesetzen begeben. Sie haben es nicht geschafft, eigene kommunikative Strukturen zu entwickeln. Sie haben es versäumt, Aufklärung zu betreiben. Dass eine effektive Verwaltung Sinn hat und Geld spart; dass es nützlich ist, nicht alle Spendengelder auf einmal unter die Leute zu bringen; dass es unsinnig ist, so viele Hilfsgüter wie möglich aus Deutschland in die Katastrophenregionen zu fliegen - diese Grundkenntnisse sind bisher weitgehend unbekannt. Dass die Medien immer wieder andere Erwartungen formulieren und wecken, hat viel mit den Hilfsorganisationen und wenig mit den Medien zu tun.
Hier kommen wir viertens zu einem Grunddilemma dieser Allianz: Vieles findet abseits der Öffentlichkeit statt. Es gibt wenig Transparenz und nur unzureichende öffentliche Kontrolle. Die Hilfsorganisationen haben daran kein Interesse, den Medien mangelt es häufig an Kompetenz. Auch der Koordinationsausschuss Humanitäre Hilfe arbeitet so: möglichst nichts nach außen dringen lassen, möglichst im Verborgenen arbeiten. Die Hilfsorganisationen dürfen gerne dieses Selbstverständnis pflegen. Ich glaube aber, es ist der Sache nicht hilfreich, und schon gar nicht dürfen sich die Medien damit abfinden.
Fünfte These: Die Organisationen müssen sich wieder mehr Autonomie zulegen, auch Autorität in der Art ihrer Hilfe. Die Medien wollen den weißen Helfer, am besten den deutschen Helfer, möglichst den weißbekittelten, und sie wollen Kinder als Opfer. Die Gründe sind simpel und vielfach genannt: Nichts ist anschaulicher, nichts löst mehr emotionale Reflexe aus, nichts öffnet effizienter die Geldbeutel des Publikums. So wichtig diese Bilder für erfolgreiches Spendensammeln sind - die Organisationen dürfen sich solchen Gesetzmäßigkeiten nicht bedingungslos ausliefern.
Abschließen will ich mit einem Satz an die Adresse der eigenen Zunft: Wenn die Medien sich gelegentlich mit diesen Fragen beschäftigen würden anstatt mit den immer gleichen Fragen - etwa: Warum ist das Spendengeld noch nicht ausgegeben, warum ist die Verwaltung so teuer, warum schicken die Organisationen Drückerkolonnen zur Mitgliederwerbung? -, dann, glaube ich, wären wir schon ein ganzes Stück weiter.
aus: der überblick 04/2000, Seite 102
AUTOR(EN):
Horand Knaup:
Horand Knaup ist Redakteur beim Spiegel und Autor des Buches ":Hilfe, die Helfer kommen, Karitative Organisationen im Wettbewerb um Spenden und Katastrophen" (München 1996)