Die guten alten Zeiten - ein Zeitzeuge blickt zurück
Als letzte der britischen Kolonien in Ostafrika erhielt am 12. Dezember 1963 Kenia die vom Volk jubelnd begrüßte Uhuru, die Freiheit, die mit der Unabhängigkeit gekommen war. Zwei Tage vorher in Sansibar war das Bild völlig anders. Als Prinz Philip dem Sultan die Unabhängigkeitsurkunde überreichte, beobachtete das Volk von Sansibar das Ereignis und das mitternächtliche Feuerwerk völlig teilnahmslos, und die Atmosphäre war bedrückend. Schon vier Wochen später kam es dort zu einem grausamen Massaker. Tausende von Arabern wurden von der unterdrückten schwarzafrikanischen Bevölkerung getötet. Nach dieser nur kurzlebigen "Revolution" fand schon im April 1964 die Vereinigung mit Tanganjika zum neuen Gesamtstaat Tansania statt.
von Heinz Berger
Die Uhuru-Feiern in Nairobi überlagerten bald die düsteren Eindrücke aus Sansibar. Euphorisch und voller Erwartung war die Stimmung in Kenia zu Beginn der Unabhängigkeit. Damals verband die Bevölkerung mit dem großen Freiheitskämpfer Jomo Kenyatta die Hoffnung auf mehr Rechte, Arbeit und Wohlstand.
39 Jahre später jubelte das Volk wieder fast wie damals, weil mit der Wahl von Mwai Kibaki zum neuen Präsidenten endlich wieder Hoffnung auf das Ende der wirtschaftlichen Talfahrt und Korruption aufkam, die unter seinem Vorgänger Daniel arap Moi das Land in eine Dauerkrise getrieben hatten.
Im Jahr 1963 drängten sich 200.000 Menschen in freudigem Chaos hinaus in das provisorische Stadion vor den Toren von Nairobi, um den historischen Moment mit zu erleben. Über mehrere Stunden wechselten sich Trommel- und Tanzgruppen verschiedener Volksgruppen mit Schulchören, Militärbands und einer Parade der neu geschaffenen kenianischen Armee, den Kenya Rifles, ab und steigerten die Spannung und Begeisterung der Massen. Dann kam der Höhepunkt: Gebete der Religionsführer, Ansprachen, die Urkundenübergabe durch Prinz Philip an Präsident Kenyatta und schließlich unter endlosem Jubel das Hissen der Flagge Kenias.
Am zweiten Tag der dreitägigen Feierlichkeiten gab es eine ähnlich bewegende Zeremonie, als Kenyatta im Stadion der Stadt Nyeri die Anführer der Mau Mau Freiheitskämpfer begrüßte, die - noch misstrauisch - aus ihren Urwaldverstecken gekommen waren und ihre Eigenbau-Gewehre dem Präsidenten übergaben.
Ausgelöst hatte den jahrzehntelang von der Volksgruppe Kikuyu getragenen Freiheitskampf die Landfrage. Die britischen Kolonialbehörden hatten den Großteil der klimatisch günstigen fruchtbaren White Highlands ausschließlich Europäern zur Bewirtschaftung übergeben und die ansässigen Kikuyus vertrieben. Der sich daraus ergebene Landmangel führte zur Gründung von Geheimbünden wie den Mau Mau, zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen und zur Lähmung des Wirtschaftslebens. 1952 wurden der Ausnahmezustand verhängt und Kenyatta und zahlreiche weitere Aufständische verhaftet. Insgesamt 13.000 Afrikaner kamen während dieses Freiheitskampfes ums Leben.
Erst 1959 begannen nach Aufhebung des Ausnahmezustandes in London Verhandlungen über den Übergang Kenias in die Unabhängigkeit und die Lösung der Landfrage. Unter politischem Druck und als Folge der klugen Verhandlungsstrategie von Kenyatta konnten große Teile der "weißen" Ländereien erworben und an afrikanische Bauern übergeben werden, so dass die Zahl der europäischen Farmer nach der Uhuru stark zurückging. Über 100.000 Kenianer, meist Kikuyu, sind dann als Kleinbauern in das Hochland gewandert.
Auch heute noch gilt das kenianische Modell der Übernahme weißen Farmlandes als beispielhaft für Afrika und hätte auch in Simbabwe - Mugabes Bereitschaft vorausgesetzt - schon in den achtziger Jahren erfolgreich angewendet werden können und so den heutigen Ruin des Landes vermieden.
Die Stimmung der im neuen Kenia verbliebenen Briten war zwiespältig. Während die in den Städten arbeitenden Briten ihre eigene Zukunft und die des Landes eher positiv beurteilten, sahen die meisten befragten Farmer die Perspektiven der kenianischen Landwirtschaft eher pessimistisch. Rückschauend jedoch muss man der Landwirtschaftspolitik unter Kenyatta ein positives Zeugnis ausstellen, nicht zuletzt weil dem Mzee, dem altehrwürdige Kenyatta, mit dem ehemaligen Farmer Brian MacKenzie für lange Jahre ein fähiger Landwirtschaftsminister zur Seite stand.
Über 100.000 Arbeitslose - das waren für damalige Verhältnisse sehr viele - erwarteten von ihrer Regierung möglichst bald einen Job. Der Wirtschafts- und Planungsminister Tom Mboya, der 1969 einem Attentat zum Opfer fiel, hatte auch schon einen Sechs-Jahres-Entwicklungsplan vorgelegt. Der war aber zu hastig ausgearbeitet worden und sollte eigentlich nur als eine wirtschaftspolitische Leitlinie gelten. Schließlich wurde er nach zwei Jahren durch einen neuen Entwicklungsplan ersetzt. Eines der wichtigsten Ziele dabei war die Afrikanisierung von Wirtschaft und Handel.
Ein besonderes Problem für Bevölkerung und Regierung war die fast völlige Beherrschung des Handels durch die rund 180.000 Köpfe zählende integrationsunwillige asiatische Bevölkerungsgruppe. Schon bald traf die Regierung Maßnahmen, dieses quasi-Monopol zugunsten der afrikanischen Bevölkerungsmehrheit zu beschneiden, unter anderem durch die Aufforderung, die kenianische Staatsangehörigkeit anzunehmen und die indische zurückzugeben, was von der Mehrzahl abgelehnt wurde. Heute leben nur noch 80.000 Asiaten in Kenia.
Anders als viele andere afrikanischen Staaten hatte Kenia zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit bereits ein verarbeitendes Gewerbe, einen vergleichsweise hohen Entwicklungsstand, eine relativ gute Infrastruktur und galt schon als Dienstleistungszentrum für ganz Ostafrika. Als einer der wenigen afrikanischen Staaten hat es in den vergangenen 40 Jahren keinen Bürgerkrieg erlebt. Dass jetzt der dritte Staatspräsident durch demokratische Wahlen ins Amt kam, ist ebenfalls ein Zeichen für politische Kontinuität.
Für die im Rückblick recht erfolgreiche erste kenianische Entwicklungsdekade hatte der weitsichtige Kenyatta neben Tom Mboya und MacKenzie einen weiteren qualifizierten Mann gefunden: Mwai Kibaki. Der war zunächst Finanzminister und dann einige Jahre Wirtschaftsminister, ohne dass es während seiner Amtszeit in seinen Ressorts irgendwelche Skandale gegeben hätte.
Die Zeitgenossen im damaligen Kenia hätten sich wohl kaum die Verhältnisse im Jahr 2002 gegen Ende der Amtszeit von Daniel arap Moi vorstellen können: den Niedergang der Wirtschaft und des politischen Ansehens im Ausland, die umfassende Korruption, den desolaten Zustand der Infrastruktur, des Bildungs- und des Gesundheitswesen sowie Arbeitslosigkeit, Armut und Kriminalität. Das Land ist so tief gesunken, dass es jetzt eigentlich nur noch aufwärts gehen kann. Vielleicht wird ja unter Mwai Kibaki manches wieder wie in der "guten alten Zeit".
aus: der überblick 03/2003, Seite 26
AUTOR(EN):
Heinz Berger:
Heinz Berger hat 1963 für die Deutsche Welle über die Unabhängigkeitsfeiern in Sansibar und Kenia berichtet und 2002 für den "Evangelischen Entwicklungsdienst" die Wahlen in Kenia beobachtet.