Journalistisches Arbeiten in China
Mutige Chefredakteure chinesischer Medien müssen ihr Engagement für die Pressefreiheit nicht selten mit dem Verlust ihres Jobs, mitunter auch mit einer Gefängnisstrafe bezahlen. Wie aber ergeht es den ausländischen Journalisten im Reich der Mitte? Dürfen sie alles schreiben oder senden, was sie über ihr Berichtsgebiet in Erfahrung bringen können?
von Kerstin Lohse-Friedrich
Derzeit sind rund 315 Korrespondenten in China akkreditiert. Sie müssen immer wieder aufs Neue abwägen, wie weit sie sich nach vorne wagen dürfen, ab wann sie ihre Gesprächspartner oder ihre Mitarbeiter gefährden. Nicht jedes Gesprächsangebot darf man wahrnehmen, nicht aus jedem geführten Interview sollte man namentlich zitieren. Und dennoch gilt es gerade im Vorfeld der Olympischen Spiele 2008, die internationale Aufmerksamkeit auch auf die Schattenseiten der chinesischen Entwicklung zu lenken.
Zunächst sah es so aus, als würde die journalistische Arbeit künftig einfacher werden. So hatte das chinesische Außenministerium im Dezember 2006 neue Regeln für ausländische Journalisten bekannt gegeben: Danach können in China akkreditierte Korrespondenten und Journalisten, die eigens zu den Olympischen Spielen anreisen – 30.000 werden erwartet –, seit dem 1. Januar 2007 in die meisten Provinzen des Landes ohne die bislang erforderlichen Genehmigungen lokaler Parteistellen reisen und dort Interviews führen. Sie benötigen rein formal betrachtet nur noch das Einverständnis ihrer Gesprächspartner.
Allerdings: Die neuen Bestimmungen sind zeitlich befristet – bis Oktober 2008, also bis kurz nach den Olympischen Sommerspielen, und sie gelten nur für Berichte "über die Olympischen Spiele in Peking und verwandte Themen". Reisen nach Tibet und Xinjiang bleiben von der Neuregelung ausgenommen.
Dennoch werten viele Auslandskorrespondenten die neuen Richtlinien als einen Fortschritt. Bisher mussten in China akkreditierte ausländische Journalisten generell jede Recherchereise von den lokalen Ausländerbehörden (Waiban) genehmigen lassen und sich damit der Überwachung aussetzen. Wer dies nicht tat, riskierte es, von den lokalen Behörden festgenommen zu werden. So passierte es etwa Georg Blume, dem China-Korrespondenten der "taz" und der "Zeit", im Sommer 2006 in der südwestchinesischen Provinz Yunnan. Dort hatte er Bauern interviewt, die wegen eines Staudammprojektes umgesiedelt werden sollten.
Nach Angaben des Foreign Correspondents' Club of China (FCCC) kam es auch seit Einführung der neuen Richtlinien immer wieder zu Behinderungen journalistischer Arbeit. Mit einer im August 2007 veröffentlichten Umfrage über die Arbeitsbedingungen ausländischer Journalisten zieht die Vereinigung eher eine ernüchternde Bilanz. Vierzig Prozent aller Befragten hätten angegeben, seit Januar 2007 verschiedene Formen der Einflussnahme von Seiten der chinesischen Behörden erlebt zu haben, so der FCCC. Diese reicht von Verwarnungen über verbale Einschüchterungsversuche von Gesprächspartnern und chinesischen Mitarbeitern hin zu gewalttätigen Übergriffen und Verhaftungen. So wurden Auslandskorrespondenten beispielsweise festgenommen, als sie versuchten, über soziale Probleme im Land zu berichten. Tabuthemen gibt es bekanntlich viele: Umweltskandale, Proteste gegen Umweltverschmutzung, Streitigkeiten über enteignete Grundstücke, Opfer der staatlichen Religionspolitik, die Falun Gong Bewegung, AIDS, Korruption oder der Umgang mit Regierungsgegnern.
Wie weit es mit den neuen Freiheiten her ist, zeigte sich auch bei der Fußball-WM der Frauen im September 2007. Zahlreiche aus Deutschland angereiste und formal korrekt akkreditierte Sportreporter beklagten, dass sie ständig überwacht und teilweise sogar bei Live-Reportagen von Sicherheitskräften in ihrer Arbeit gestört wurden. Auch der Zugang zum Internet sei erheblich eingeschränkt gewesen.
Es ist eine Sache, wie man selbst mit den Vorschriften umgeht und inwieweit man gesetzte Grenzen überschreitet. Eine andere aber, ob man dabei unverantwortlich mit Mitarbeitern umgeht. Während meiner Tätigkeit als ARD-Hörfunkkorrespondentin mit Sitz in Shanghai hat mich stets der Gedanke belastet, dass ich mit meinen Recherchen nicht so sehr mich gefährdete, sondern vor allem meine chinesischen Mitarbeiter und Interviewpartner. Meine chinesische Assistentin erhielt wiederholt Anrufe von Seiten des Amts für Öffentliche Sicherheit und der Ausländerbehörde, die sie offensichtlich stark verunsichern sollten und die ihre Wirkung nicht verfehlten. So beispielsweise, als wir über die Proteste von Shanghaier Anwohnern gegen den Abriss ihrer Häuser recherchierten, ebenso, als wir während der SARS-Epidemie unangemeldet in die Nachbarprovinz reisten, um uns dort einen Eindruck von der Lage zu verschaffen. Und zuletzt, als ich mich in meiner Funktion als Präsidentin des Shanghai Foreign Correspondents' Club für einen in Shanghai akkreditierten britischen Kollegen vom Guardian einsetzte, der in Südchina während der Recherchen über Grasswurzel-Demokratie in Guangdong gewaltsam an seiner Arbeit gehindert und verhaftet worden war.
Besonders die Sanktionierung von Gesprächspartnern hat in den vergangenen ein, zwei Jahren erneut zugenommen. In diesem Zusammenhang sei auch an den erschütternden Fall des Bauern Fu Xiancai erinnert, der sich in einem Interview mit meinem ARD-Kollegen Jochen Gräbert im Frühsommer 2006 über die unzureichende Entschädigung beim Bau des Drei-Schluchten-Staudamms geäußert hatte. Kurz darauf wurde er brutal zusammengeschlagen und ist seitdem querschnittsgelähmt.
Erfolgreiche Einschüchterungspolitik bewies die chinesische Regierung auch mit der Verhaftung des chinesischen Mitarbeiters der New York Times in Peking, Zhao Yan. Erst im September 2007 kam er frei, nachdem er eine dreijährige Gefängnisstrafe verbüßt hatte. Sein Vergehen? Die New York Times hatte 2004 vorab über den Rückzug von Ex-Staats- und Parteichef Jiang Zemin aus der Militärkommission berichtet – der kurze Zeit später tatsächlich erfolgte. Zhao wurde zunächst als angeblicher Informant wegen Verrats von Staatsgeheimnissen angeklagt. Später sprach ihn ein Gericht zwar vom Vorwurf des Geheimnisverrats frei, verurteilte ihn dann jedoch wegen Betrugs.
Abgesehen von Repressalien gegen Interviewpartner und Mitarbeiter stellte sich mir in China ein ganz anderes Problem. Nämlich überhaupt an verlässliche und zudem relevante Informationen und Gesprächspartner zu kommen. So hatte ich nur in Ausnahmefällen die Gelegenheit, Regierungsvertreter zu interviewen oder auch nur zu erleben – und dann meist auf inszenierten Pressekonferenzen, etwa anlässlich der jährlichen Sitzung des Nationalen Volkskongresses im März.
Zehn Tage lang tagen die knapp 3000 Delegierten – doch fast immer hinter verschlossenen Türen. Journalisten sind nur zur Eröffnungs- und zur Abschlussveranstaltung in der Großen Halle des Volkes zugelassen und dann, wenn die offiziellen Rechenschaftsberichte des Premiers, des Obersten Richters oder der Haushaltsentwurf präsentiert werden. Diese stundenlang monoton vorgetragenen Reden bergen allerdings wenig Überraschungen. Was auf dem Volkskongress präsentiert wird, wurde zuvor von der Kommunistischen Partei Chinas abgesegnet und ist garantiert nicht kontrovers. Erfolgsmeldungen und Zielvorgaben sind gefragt, keine lebhaften Diskussionen.
Um den Anschein international üblicher Pressepolitik zu erwecken, lädt das Informationsamt des Staatsrates fast täglich zu Pressekonferenzen, mal mit dem Außenminister, mal mit dem Zentralbankchef oder dem Finanzminister. Nun könnte man denken, dass die Presse nur dann eingeladen werde, wenn es auch etwas mitzuteilen gebe. Doch Jahr für Jahr zeigt sich, dass es auch anders geht. So betreten die Minister und ihre zwei Vize das blumengeschmückte Podium und fordern die in- und ausländischen Journalisten auf, ihre Fragen zu stellen. Dann waltetet ein eigens dafür eingesetzter Mitarbeiter seines Amtes und ruft den ersten Journalisten auf – jedoch nicht etwa nach dem Zufallsprinzip, sondern nach einer klar erkennbaren Dramaturgie.
Die erste Frage geht immer an einen Vertreter der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua oder des staatlichen Fernsehens China Central Television (CCTV). Diese kennen ihre Aufgabe: Sie sollen dem jeweiligen Minister eine Steilvorlage bieten, damit der aus den aktuellen Dokumenten zitieren kann. Nicht selten antwortet dieser mit einer sage und schreibe 30 bis 40-minütigen Grundsatzrede. Es hat offensichtlich Methode, die Presse so lange wie möglich abzulenken, um die Zeit für unerwünschte Fragen von vornherein einzuschränken.
Dann kommt ein ausländischer Journalist an die Reihe, doch an dessen Frage redet der jeweilige Regierungsvertreter gern konsequent vorbei. Immer dann, wenn man gerade denkt, nun müsse der Minister endlich zu den spannenden Themen kommen, beendet ein Mitarbeiter des Informationsamtes die Veranstaltung mit Blick auf die Uhr. Das Pressezentrum ist auch nicht gerade dafür gemacht, Nachrichten zu vermitteln. Theoretisch kann jeder akkreditierte Medienvertreter bereits vor Beginn des Volkskongresses Interviews mit einzelnen Delegierten beantragen. Mit einer Antwort sollte man allerdings vor Ablauf der Parlamentssitzung nicht rechnen. Auf Nachfrage heißt es stets: "Haben Sie noch etwas Geduld". Bei hartnäckigerem Nachhaken bekommt man dann zu hören, "Nein, der will nicht mit der Presse sprechen", oder: "den haben wir nicht gefunden". Die Damen werden ganz offensichtlich nicht nach ihrer Vermittlungsquote bezahlt. Sie betrachten sich vielmehr als Anwälte der Politiker. So erwiderte eine Mitarbeiterin des Pressebüros auf den Vorschlag, ein Gruppeninterview mit dem in Medienkreisen äußerst beliebten Handelsminister Bo Xilao zu organisieren: "Sie müssen das verstehen, er ist jetzt ein berühmter Mann, der hat wichtigeres zu tun".
Auch die jährliche Abschlusspressekonferenz mit dem Premier – die einzige Gelegenheit im Jahr für ausländische Journalisten, ihm eine Frage zu stellen – wird sorgfältig vorbereitet. Bereits Tage vorher rufen Mitarbeiter des Außenministeriums ausländische Medienvertreter an und fragen, ob sie nicht eine Frage zu den japanisch-chinesischen oder den deutsch-chinesischen Beziehungen stellen wollten, Wen Jiabao fahre doch demnächst in das jeweilige Land.
Offensichtlich liebt der Premier keine Überraschungen. Dabei hatte er bei seiner ersten Begegnung mit der Presse gezeigt, dass er sich auch in kritischen Situationen zu helfen weiß. Als ihn entgegen der Absprachen ein amerikanischer Journalist nach einer Neubewertung der Ereignisse auf dem Platz des Himmlischen Friedens im Jahr 1989 fragte, überhörte der Premier die Frage einfach.
Exklusive Informationen aus erster Hand von Entscheidungsträgern sind daher ausgesprochen rar. Und selbst wenn das lange beantragte Interview mit Staatspräsident Hu Jintao eines Tages genehmigt werden sollte, so bleibt es mehr als fraglich, ob das mühsam erkämpfte Ergebnis überhaupt auf Interesse in den Heimatredaktionen stößt. Häufig sind die Antworten so formalisiert, dass nur China-Kenner graduelle Verschiebungen im Vergleich zu früheren Äußerungen wahrnehmen und daraus möglicherweise Schlussfolgerungen ziehen konnten.
Was sich wirklich in der innersten Führungsspitze abspielt, können ausländische Journalisten nur erahnen. Oft tappen sie im Dunkeln, so beispielsweise, als im Dezember 2001 der Shanghaier Bürgermeister Xu Kuangdi von einem Tag auf den anderen auf einen Akademieposten in Peking versetzt wurde oder im September 2006, als das Politbüro plötzlich Chen Liangyu, den Parteisekretär von Shanghai, wegen einer vermeintlichen Korruptionsaffäre stürzte.
In Reaktion auf so genannte breaking news laden die Behörden grundsätzlich keine Pressevertreter ein. Als Beispiel für eine durchweg gescheiterte Medienpolitik lässt sich der Umgang mit der Presse während der SARS-Epidemie im Frühjahr 2003 anführen. Die Regierung gab immer erst dann Fakten zur aktuellen Lage Preis, als diese sich nicht länger vertuschen ließen. Zur Illustration mag der Beitrag über den Arzt Jiang Yanyong dienen, den ich damals für die ARD produzierte (siehe Kasten).
Hauptinformationsquelle bleiben daher selbst arrangierte Interviews mit chinesischen oder ausländischen Gesprächspartnern. Auch hier stellt sich die Situation sehr unterschiedlich dar: Auf der einen Seite sind inzwischen Termine möglich, von denen die Kollegen vor fünf oder zehn Jahren vermutlich nur geträumt haben. Straßenumfragen, aber auch Gespräche mit Vertretern von Kultur- und Forschungseinrichtungen oder offiziellen Institutionen lassen sich oft sehr schnell und unbürokratisch realisieren.
Schwieriger wurde es dagegen immer dann, wenn ich heikle Themen recherchierte, wie beispielsweise die Umsiedlungspolitik der chinesischen Regierung im Rahmen von Großprojekten oder die ökologischen und sozialen Folgen des Drei-Schluchten-Staudamms. Lokale Behördenvertreter fürchteten häufig Konsequenzen und lehnten daher jeden Antrag auf ein Interview ab. Oder aber sie bezeichnen sich als nicht zuständig und verwiesen an eine andere Stelle.
Meine Recherchereise nach Yichang zur Großbaustellen des Drei-Schluchten-Staudamms beispielsweise versuchten die Behörden, von allen Seiten zu torpedieren. Selbst auf meine deutschen Gesprächspartner von einem Turbinenlieferanten übten sie einen derartigen Druck aus, dass diese schließlich das Interview und sogar einen geplanten Baustellenrundgang absagten.
Auslandskorrespondenten müssen sich noch immer vieler Tricks bedienen und manchen Umweg wählen, um nicht in die aufgestellten Fallen zu tappen und sich aus Mangel an Material der lancierten Schönfärberei anzuschließen. Dass sich der Aufwand lohnt, steht außer Frage. Das Interesse in der deutschen Öffentlichkeit an China ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen. Vieles hat sich seit der ungeschickten Pressepolitik der Behörden im Zuge der SARS-Epidemie in China verändert und verbessert. Die Regierung hat aus den Pannen gelernt, ihre Mitarbeiter geschult und in vielen Behörden Informationsabteilungen geschaffen. Nicht immer allerdings erleichtern diese den Journalisten ihre Arbeit. Die Unsicherheit und Ängste Einzelner, für die Weitergabe von Informationen bestraft zu werden, können jedoch nicht allein als Begründung herhalten, solange es das erklärte Ziel der Regierung ist, ihr Informationsmonopol zu verteidigen.
Recherchen in China bringen einen bisweilen an den Rand der Verzweiflung, doch zugleich spiegeln sie die Schwierigkeiten einer Gesellschaft im Umbruch wider. Auf viele Entwicklungen wäre ich ohne die eingangs beschriebenen Hindernisse vermutlich gar nicht aufmerksam geworden. Und für das manchmal zähe Tauziehen mit den Behörden haben mich die positiven Begegnungen mit vielen chinesischen Gesprächspartnern mehr als entschädigt.
aus: der überblick 04/2007, Seite 38
AUTOR(EN):
Kerstin Lohse-Friedrich
Kerstin Lohse-Friedrich war von August 2000 bis Oktober 2005 Leiterin des ARD-Hörfunkstudios Shanghai. Seit November 2005 ist die Sinologin und Politikwissenschaftlerin persönliche Referentin der Intendantin vom "Rundfunk Berlin-Brandenburg" (rbb) in Berlin.