Weg von der falschen Harmonie
Bereits zu Anfang des vorigen Jahrhunderts gründeten intellektuelle Frauen in Indonesien Organisationen, die nicht nur die politische Unabhängigkeit von der holländischen Kolonialmacht, sondern auch Frauenrechte einforderten. Die Regierung Suharto aber stellte die Frauenorganisationen unter Staatsregie. Neu gegründete unabhängige NGOs mussten sich auf soziale Hilfsdienste beschränken. Die Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 gab auch den Frauen-NGOs in Indonesien wieder Auftrieb. Vehement kämpfen sie seither für die Gleichberechtigung der Geschlechter.
von Marianne Klute
Der Ventilator brummt. Es ist heiß in dem etwas kleinen Konferenzraum einer Frauen-NGO in Jakarta, der Hauptstadt Indonesiens. Acht Frauen beugen sich über auf dem Tisch verstreute Papiere. Ab und zu lachen die acht Kolleginnen der Partnerin der Frauen - so nennt sich die NGO - über einen Witz, dann widmen sie sich sofort wieder der Planung des nächsten Gender-Trainings. An den Wänden sind Regale mit Büchern vollgestopft. In der Ecke stehen zwei Computer, das Telefon klingelt. In der Ecke sitzt eine Frau aus einem Dorf mit ihrem Kind und schaut scheu in die Runde. Ein junger Mann bringt Kaffee.
Die Partnerin (Mitra Perempuan) gibt es seit 1996. Sie ist eine von vielen Organisationen mit neuer Zielsetzung, die in Indonesien nach der 4. Weltfrauenkonferenz von Peking 1995 gegründet wurden. Profilierte indonesische Frauen - vor allem Juristinnen - hatten aus Peking viele neue Ideen mitgebracht und sie sofort in die Tat umgesetzt. Frauenhäuser wie die Partnerin bieten Frauen in Bedrängnis praktischen und juristischen Beistand. Sie verfolgen darüber hinaus eine Politik des Gender-Mainstreamings (Vermittlung und Umsetzung der Idee der Gleichstellung von Frauen und Männern), für das die Pekinger Konferenz in Ländern wie Indonesien als Meilenstein empfunden wird. Das Wort Gender als neutralen Begriff für die Prägung durch gesellschaftliche Einflüsse und kulturelle Traditionen können Indonesierinnen akzeptieren, weniger dagegen Begriffe wie Emanzipation und Feminismus, die sie lange Zeit als Kampfbegriffe betrachteten. Indonesierinnen neigten bis vor wenigen Jahren eher dazu, eine feministische Haltung als familien- und ehefeindlich abzulehnen. Der neue Begriff Gender dagegen wird begrüßt, denn dass weibliche und männliche Rollen durch die Gesellschaft geprägt sind, springt in einem Staat wie Indonesien mit seinen mehr als 400 Ethnien jedem und jeder ins Auge.
Gender training, Empowerment of Women (Gleiche Macht für Frauen), so lauten die Titel der Broschüren auf dem Konferenztisch der Partnerin. Sie klingen bekannt, schließlich stammen sie von der Ford Foundation und könnten ebenso in den Regalen von Frauengruppen in Berlin oder Nairobi liegen. Heißt das, dass die neuen Frauengruppen ihre Ziele und Methoden vom Ausland importiert und westliches Gedankengut auf eine fremde Kultur aufgepfropft haben? Oder können sie auf eine unabhängige Entwicklung zurückschauen?
Es mag überraschen, dass die Ursprünge der Frauenbewegung in Indonesien mindestens ebenso alt sind wie die Idee des unabhängigen Nationalstaates. Frauen wie Dewi Sartika und die indonesische Nationalheldin, Prinzessin Kartini, haben schon frühzeitig für eine Schulbildung für Mädchen gekämpft. Als Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts das indonesische Nationalgefühl im damaligen Niederländisch-Indien erwachte, entstanden auch Organisationen für die politische Unabhängigkeit, in denen Frauen von Anfang an aktiv ihren Beitrag leisteten. Zeitgleich gründeten intellektuelle Frauen ihre eigenen Organisationen, die nicht nur die politische Unabhängigkeit von der holländischen Kolonialmacht, sondern auch Frauenrechte einforderten. Jede politische Richtung und jede Glaubensgemeinschaft hatte ihre eigene Frauenbewegung. Schon 1928 richteten die emanzipierten indonesischen Frauen ihren ersten Kongress aus, ein Ereignis, das erst siebzig Jahre später seine Fortsetzung fand. Die Wachsamen Frauen (Isteri Sedar, gegründet 1930) kämpften nicht nur für die Verbesserung des Status der adligen Damen, sondern für die politischen Rechte aller Frauen. Die Unabhängige Frau, so auch der Name einer der ersten Gruppen (Poetri Mardiko, gegründet 1912), war gleichsam integraler Bestandteil der politischen Bewegung, die 1945, nach Ende des Zweiten Weltkriegs, in die Proklamation der Republik Indonesien mündete. Dieser ersten Frauenbewegung ist es zu verdanken, dass die politische und rechtliche Gleichberechtigung von Mann und Frau Bestandteil der indonesischen Verfassung von 1945 ist.
Dank der (noch interpretationsbedürftigen) Verfassung genießen indonesische Staatsbürgerinnen das aktive und das passive Wahlrecht. In den ersten turbulenten Jahren der jungen Republik hatte Indonesien schon seine erste Ministerin. Doch andere Gesetze zur Gleichstellung von Frauen fehlen oder widersprechen dem Grundgesetz. Das Gesetzgebungsverfahren ist träge. Bis auf das neue Staatsbürgergesetz von 1958, das indonesischen Ehefrauen ausländischer Männer erlaubt, die eigene Staatsbürgerschaft beizubehalten, gab es für Frauen keine Verbesserungen des rechtlichen Status. Frauenrechtlerinnen haben viel Mühe und Kraft aufgewendet, um die Gleichberechtigung auch in andere Gesetze einfließen zu lassen. Sie konnten sich jedoch nicht durchsetzen; das gültige Ehegesetz (von 1974) verankerte die Unterordnung der Frau unter den Mann und erlaubt islamischen Männern unter bestimmten Bedingungen Polygamie. Erst Ende des Jahres 2000 bescherte der vierte indonesische Präsident Abdurrahman Wahid seinen Landsleuten per Verordnung die Gleichberechtigung von Mann und Frau, ein Akt, der als großmütiges Geschenk interpretiert wurde und möglicherweise lange auf volle Umsetzung warten muss.
"Einheit in der Vielfalt" lautet das Motto der Republik Indonesien, dessen erster Präsident Sukarno einen schwierigen Balanceakt zwischen den Ansprüchen der politisch, kulturell und historisch sehr unterschiedlichen Kräfte im Land versuchte. In der politisierten Stimmung der fünfziger Jahre entstanden etliche unabhängige und parteigebundene Frauenorganisationen, nicht zuletzt die mitgliederstarke kommunistische Gerwani, die sich selbst Frauenbewegung Indonesiens nannte. Sukarno verfolgte das Ziel der Einheit der drei dominierenden Kräfte Nationalismus, Islam und Kommunismus. Sein Konzept wurde aber zwischen eben diesen Kräften und dem machtvollen Militär, das sich als Geburtshelfer der Republik Indonesien versteht, zerrieben. 1965 übernahm nach Unruhen und einem Putschversuch Suharto als zweiter Präsident die Macht. Suharto machte mit der kommunistischen Partei auch Gerwani für den Putschversuch verantwortlich. Gerwani-Mitglieder wurden beschuldigt, am Putschversuch beteiligt gewesen zu sein und bestialische Grausamkeiten begangen zu haben. Das bedeutete das Ende für die Frauenorganisation.
Die Frauenbewegung erlebte danach einen Bruch. Unabhängige und halbstaatliche Frauenorganisationen wurden Ende der sechziger Jahre nach und nach verboten oder gingen in staatlichen Organisationen auf. Nun war es die Pflicht der Frauen (Dharma Wanita) - und genau so nannte sich die Organisation der Ehefrauen von Beamten -, sich der neuen Staatsideologie zu fügen und den Männern unterzuordnen. In ähnlicher Weise mussten sich Landfrauen der Familienwohlfahrt (Pembinaan Kesejahteraan Keluarga, PKK) widmen. Die Ehefrauenorganisationen spiegelten die Hierarchie der Männerwelt wider: Die Frau eines Minister hatte eine leitende Funktion, entsprechend dem Status ihres Mannes; die Frau eines kleinen Beamten dagegen rangierte weit unten, auch wenn sie selbst im Berufsleben eine höhere Position als ihr Mann oder die Frau eines Ministers einnahm oder über persönliche oder professionelle Qualitäten verfügte. Wie die Staatsbeamten trugen sie bei ihren Gruppenaktivitäten Uniformen. Die Positionen der Aufseher (Pembina) in diesen Frauenorganisationen wurden von Männern eingenommen. Neben solchen staatlichen Ehefrauenorganisationen entstanden unter dem Mantel der nationalen Dachorganisation KOWANI einige Dutzend professionelle und soziale Frauenorganisationen. Dadurch gelang es der Regierung Suharto, einen bedeutenden Anteil der Bevölkerung in staatliche Organisationen zu pressen. All diese Organisationen durften nur sozial tätig sein, nicht aber politisch. Ihre Hauptfunktion war es, das staatliche Frauenbild bis in die Dörfer zu tragen.
Sowohl Struktur als auch Programm der staatlich geleiteten Organisationen spiegeln die Gender-Politik der so genannten Neuen Ordnung wider. Zugrunde liegt die von der Neuen Ordnung ideologisierte javanische Vorstellung von Harmonie (Rukun). Harmonie als altes, kulturell und religiös-mythologisch verankertes Ideal wurde in geschickter Weise in die Staatsideologie integriert. Aufgabe der Frauen war es, für Harmonie zu sorgen, in erster Linie natürlich in der Familie selbst. Da die Familie als Spiegelbild der großen Staatsfamilie angesehen wurde, dienten die Ehefrauenorganisationen zum Erhalt der Harmonie im Staat und waren damit nicht nur ein Instrument zur Domestizierung der Frauen, sondern gleichzeitig zum Erhalt eines Staatssystems, in dem Kritik oder das bloße Benennen von Problemen eine Störung der Harmonie darstellte. Die Regierung Suharto nutzte ein anderes javanisches Prinzip, das der Nachbarschaftshilfe, der moralisch und religiös verankerten Pflicht des Gebens und Nehmens (Gotong Royong), das Frauen traditionell zu Arbeitsgemeinschaften zusammenschweißt. Eine Reihe von Gruppen wie Frauenharmonie (Wanita Kosgoro) oder Geben und Nehmen (Wanita Koperasi Gotong Royong) führten die alten Werte im Namen; andere hatten explizit sowohl die Harmonie als auch die nationale Entwicklungspolitik auf dem Programm und fungierten als Bindeglied zwischen Familie und Planungsbüro.
Die Arbeit der staatlichen Organisationen war eingebettet in feste patriarchalische Strukturen, in denen die Frauen ihren Platz nicht als Partnerin fanden, sondern als nicht gleichberechtigte Untergebene des Staates. Das Angebot dieser Organisationen beschränkte sich auf Kurse über Hauswirtschaft, Kindererziehung, Hygiene und auf ideologische Schulungen. Frauen erfuhren, wie sie sich benehmen sollten und was sich für eine Frau ziemt. Sie sollten in Gender-Stereotype gepresst werden und nicht etwa emanzipatorische Ideen verfolgen und an der Verbesserung ihrer Lebensumstände arbeiten. Das versuchten erste NGOs wie der Wohlstand (Yayasan Indonesia Sejahtera), allerdings noch im Rahmen der staatlichen PKK und in Übereinstimmung mit den entwicklungspolitischen Richtlinien der Planungsbehörde. Ihnen sind Erfolge zuzuschreiben wie der Bau von Hunderten von Schulen und Kindergärten, Gesundheitsämtern und Kooperativen in Landwirtschaft und Handel. Diese gewaltigen Aufgaben konnte oder wollte der Staat nicht allein bewältigen.
Es herrschte starker gesellschaftlicher Druck, an den Programmen der staatlichen Ehefrauenorganisationen teilzunehmen. Gleichzeitig waren mit dem damaligen wirtschaftlichen Aufschwung große Erwartungen verbunden. In den siebziger Jahren wagten deshalb nur wenige Frauen, die mehr sein wollten als Ehefrau und Mutter, NGOs zu gründen. Erst als sich abzeichnete, dass der Staat seine ehrgeizigen Wachstumspläne auf Kosten der Bevölkerung und auf Kosten der Entwicklung der sozialen Versorgung realisieren wollte, sprangen NGOs in die hinterlassene Lücke.
Industrialisierung stand während der Suharto-ra (1965 bis 1998) als Synonym für Entwicklung. Kapitalkräftige Investoren wurden ins Land geholt und mit ihren Mitteln Fabriken gebaut, in denen fast ausschließlich Waren für den Export hergestellt wurden. Dank seines großen Reservoirs an jungen Arbeiterinnen konnte Indonesien diese mit Niedriglöhnen wertvolle Devisen erwirtschaften lassen.
In den siebziger Jahren hat die Grüne Revolution die Landwirtschaft völlig verwandelt. Infolge des maschinellen Anbaus von Hochertragssorten verloren tausende von Frauen ihren angestammten Arbeitsplatz auf dem Reisfeld und wanderten in die Städte ab. Andere verdingten sich als Dienstmädchen im In- und Ausland. Sie alle lebten und leben ohne wirksamen Schutz von Arbeitsgesetzen, können von heute auf morgen entlassen werden oder, schlimmer noch, mit Polizei und Militär in Konflikt geraten. Freie Gewerkschaften waren bis 1998 verboten. Jeder Arbeitskampf wurde von den Sicherheitskräften niedergeschlagen, die als verlängerter Arm der staatlichen Entwicklungspolitik der Industrie Schutz boten.
Gegenüber dem Ausland wurde das Antlitz der Harmonie aufrechterhalten. Nach innen dagegen färbte die gewalttätige Politik auf alle Lebensbereiche ab. Frauen waren nicht nur staatlichem Zwang unterworfen - beispielsweise durch das staatliche Programm der Familienplanung -, sondern litten auch zu Hause zunehmend unter prügelnden Ehemännern. Seit Anfang der achtziger Jahre widmeten sich die ersten unabhängigen Frauen-NGOs diesen Opfern der Gewalt. Die Organisationen Privatstiftung (Yayasan Annisa Swasti, kurz Yasanti in Yogyakarta, gegründet 1982) und Partnerin (Kalyanamitra in Jakarta, gegründet 1984) zeigten mit ihren Namen schon, dass sie private, unabhängige, weibliche und partnerschaftliche Institutionen sein wollten. Deutlicher noch drückte die Frauen- oder genauer Weibersolidarität (Solidaritas Perempuan, gegründet 1991) die Richtung der ersten Frauen-NGOs aus: Sie wollten weg von harmonisierender, kulturell hoch stehender Sprache, die Konflikte leugnet, und stattdessen Konflikte offen ansprechen und Tabus benennen. Ein Tabu war es etwa, auf Missstände oder gar Konflikte aufmerksam zu machen, die mit Abstammung, Religion, politischer Überzeugung oder Geschlecht zusammenhängen.
Die unabhängigen NGOs füllten eine Lücke im politischen Leben und standen von ihrer Gründung an in Opposition zu der Regierung. Nach ihrer Ansicht wird die Entwicklungspolitik auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen. Die hohen Zahlen der Opfer häuslicher Gewalt betrachten sie als Indiz struktureller Gewalt, von der insbesondere Frauen betroffen sind, während die Zahl der bei Geburten gestorbenen Mütter - im Jahr 1997 waren es laut dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen Unicef 650 je 100.000 Geburten - als deutliches Zeichen der Diskriminierung besonders im Gesundheitswesen verstanden wird.
Die Klientel dieser unabhängigen NGOs sind Diskriminierte wie Arbeitsmigrantinnen und Fabrik- und Landarbeiterinnen, die zu Hause und am Arbeitsplatz Gewalt erleben. Die NGOs gingen aber bald über Hilfeleistungen hinaus, die in anderen Ländern auch vom Staat geleistet werden. Sie informierten die betroffenen Frauen über ihre Rechte und begannen zum Höhepunkt des asiatischen Wirtschaftswunders, Diskriminierung auf Grund des Geschlechts öffentlich anzuklagen.
Zum offenen Konflikt kam es aber erst in den letzten Jahren der Suharto-ra. Vorher war das Verhältnis zur Regierung zwar gespannt, doch duldete diese die kleine Gemeinschaft der Aktivistinnen als schwache Laus im Pelz. Immerhin engagierte sich die Mehrheit der organisierten Frauen in Programmen zur Einkommensverbesserung und sozialen Hilfsleistungen und verstieß nicht gegen das 1985 erlassene Gesetz, das die Tätigkeiten der wachsenden NGO-Gemeinde auf Soziales beschränkte. Finanzielle Unterstützung erhielten die NGOs von der Regierung aber nicht; sie waren und sind auf Mitgliederbeiträge, Spenden von Privatleuten und Unternehmen - indonesische Frauen-NGOs erhalten beispielsweise Spenden von Body Shop - und vor allem auf Fördergelder aus dem Ausland angewiesen. Oft genug wurde den indonesischen NGOs der Vorwurf gemacht, sie würden mit der Finanzierung auch westliche Vorstellungen übernehmen. Darauf entgegneten sie regelmäßig, dass sie auf ausländische Hilfen angewiesen seien, weil der Staat sie finanziell aushungere.
Wegen der ausländischen Förderung standen die NGOs immer in der Kritik, ein verlängerter Arm westlicher Politik zu sein. Bedeutende Geldgeber sitzen in Kanada, Australien, Norwegen, den Niederlanden und den Vereinigten Staaten. Dabei ist vor allem die Ford Foundation zu nennen. Diese unterstützt in Indonesien schon seit 1954 sowohl staatliche als auch akademische und zivilgesellschaftliche Projekte, die demokratische Werte fördern und Armut und Ungerechtigkeit verringern wollen; vor allem werden zahlreiche kleine, im lokalen Rahmen arbeitende NGOs unterstützt. Politisch sichtbar und wirksam wurde die Unterstützung von Frauen erst nach der 4. Weltkonferenz der Frauen in Peking: Indonesische Teilnehmerinnen machten sich die Finanzkraft der Stiftung zu Nutze und gründeten 1995 die Assoziation Indonesischer Frauen für Gerechtigkeit (Asosiasi Perempuan Indonesien Untuk Keadilan, APIK), die erste NGO, die explizit gender-orientiert und demokratisch auftritt.
Geburtshelferin war Nursyabani Katjansungkana, eine Juristin bei der bedeutendsten unabhängigen Rechtshilfeorganisation (Lembaga Bantuan Hukum, LBH), die vierzehn Jahre lang vergeblich versucht hatte, Gender-Perspektiven in die Arbeitswelt einzubringen. Ihre Anliegen, die frauendiskriminierenden Gesetze abzuschaffen, Gewalt gegen Frauen als eine Verletzung der Menschenrechte zu benennen und auf die Einhaltung von Frauenrechten insbesondere im Gesundheitswesen zu pochen, stießen lange Zeit auf Unverständnis und Ablehnung.
Seit der Pekinger Konferenz hat sich das Bewusstsein der Frauenorganisationen in Indonesien deutlich verändert. Die neuen Methoden des Gender-Trainings wurden sofort im Aktionsprogramm von APIK aufgenommen. In kurzer Zeit ist ein breites Netzwerk von NGOs entstanden, die sich für Frauenrechte einsetzen. Es wurden neue, von APIK initiierte Frauenorganisationen gebildet. Aber auch die bestehenden Frauen-NGOs veränderten sich entsprechend. Zudem traf das Gender-Konzept bei vielen Beamtinnen und im Frauenministerium auf Wohlwollen. Daraus entwickelten sich noch in der Suharto-ra gute Kontakte zu bestimmten Personen im Regierungsapparat, die es gestatteten, Seminare mit Polizeikräften und anderen Beamten zu veranstalten. Frauenthemen in Fortbildungsveranstaltungen und fortwährende Diskussionen über Diskriminierung in der Gesetzgebung haben die Regierung zwar sensibilisiert, aber starke Interessengruppen in der Wirtschaft sowie die Machtkämpfe an der Regierungsspitze haben wesentliche Verbesserungen der Frauenrechte verhindert. Auch das Religionsministerium sperrt sich gegen rechtliche Veränderungen. Das bedeutet nicht, dass die Frauenbewegung sich gegen den Islam stellt, im Gegenteil. Nicht nur Sprecherinnen der Frauenbewegung, sondern auch weibliche und männliche islamische Prediger erkennen auf der Grundlage islamischer Schriften Rechte der Frauen an. Versuche, religiöse Unterschiede während der gegenwärtigen Krisen politisch auszunutzen, haben die Frauengruppen bisher immer in Solidarität abgelehnt.
Das Ende der Suharto-ra mit einer Gewaltorgie gegen Frauen bei den Mai-Unruhen 1998 hat eine Solidaritätswelle mit den Opfern staatlicher und militärischer Gewalt ausgelöst und die Frauenbewegung zusammengeschweißt. Gemeinsam mit betroffenen Frauen und NGOs aus den Konfliktgebieten Aceh, Ost-Timor und West-Papua starteten die NGOs eine Anti-Gewalt-Kampagne aus der Einsicht, dass die Gewalt des Suharto-Regimes "integraler Bestandteil des autokratischen patriarchalischen Systems" sei, so die Leiterin der 1998 neugegründeten Nationalen Kommission gegen Gewalt gegenüber Frauen, die Professorin Saparinah Sadli. Die staatlichen Organisationen wurden aufgelöst, viele neue NGOs entstanden wie die Koalition Indonesischer Frauen für Demokratie und Gerechtigkeit, die Betroffenen Mütter oder das Kommunikationsforum, die - wieder als Lückenbüßer - den Traumatisierten beistanden. Nicht zuletzt weil Demokratie und Gleichberechtigung zusammengehören, sind die Frauen-NGOs eine der tragenden Säulen der Demokratiebewegung und verstehen sich als Motor der Zivilgesellschaft. Sogar die äußerst vehement geführten Debatten auf der 2. indonesischen Frauenkonferenz im Jahr 1998, die einige männliche Journalisten als unharmonisch beschrieben, erklärten die Frauen als Ausdruck demokratischer Verhaltensweisen und indonesischer Vielfalt.
Während der kurzen Amtszeit von Präsident Wahid (1999 bis 2001), der wie seine Frau selbst aus der NGO-Szene kommt, hatten einige der Frauen-NGOs Zugang zu Entscheidungsträgern in Regierung und Verwaltung, doch schlitterten sie wegen des vorerst misslungenen Demokratisierungsversuchs in ein Dilemma. Unter der Herrschaft von Frau Megawati hat sich das politische Klima wieder verändert. Hoffnungen auf partnerschaftliche Zusammenarbeit mit der Regierung der ersten weiblichen Präsidentin bestehen nicht.
Der Schritt der NGOs aus dem Schattendasein heraus in die Konfrontation war erfolgreich. Sie haben an Profil gewonnen. Öffentliche Auseinandersetzungen mit der geschlechtsspezifischen Rollenverteilung haben das Bewusstsein für die Notwendigkeit der Empowerment-Programme gestärkt. Natürlich werden Unterlagen dafür importiert, denn eigenes Material fehlt meist. Auch finanziell sind die Frauen-NGOs noch immer auf ausländische Förderung angewiesen, doch sie haben sich längst von westlichen Vorstellungen gelöst.
aus: der überblick 03/2001, Seite 79
AUTOR(EN):
Marianne Klute:
Marianne Klute ist Diplom-Chemikerin und Mitarbeiterin von »Watch Indonesia!«. Sie hat 15 Jahre in Indonesien gelebt und dort in NGOs mitgearbeitet.