Eine namibische Frau lässt sich weder von Männern noch von der herrschenden Partei beirren
Nur wer sich ändert, bleibt sich treu. Was der deutsche Liedermacher Wolf Biermann besungen hat, passt wie bestellt auf eine afrikanische Frau in Namibia, die durch verschiedenste Brüche in ihrem Leben zugleich stark geworden und integer geblieben ist.
von Erika von Wietersheim
"Kommen Sie nicht in mein Büro, ich komme zu Ihnen", sagt Rosa Namises, als wir einen Treffpunkt ausmachen wollen. Sie vermutet Abhörgeräte in ihrem Parlamentsbüro, denn sie gehört zu den sieben Abgeordneten des jüngst gegründeten Congress of Democrats (CoD), die der Swapo (South West African People's Organisation) zeigen wollen, was eine Oppositionspartei ist.
Auch Rosa Namises hat mehr als zehn Jahre mit und für die Swapo gestritten. Im Kampf gegen die Apartheid, die auch in Namibia allgegenwärtig war, ging es ihr immer um Menschenrechte und Gerechtigkeit. Die Konsequenz, mit der sie kämpfte, führte dabei fast zwangsläufig zu Brüchen mit Menschen und Organisationen, die sie durch Halb- oder Hartherzigkeit lähmten.
Zwei Pfunde bekam Rosa Namises mit auf den Weg – und mit denen hat sie gewuchert. Ihr Vater, bei dem sie bis zu ihrem 15. Lebensjahr lebte, unterschied sich – wie sie später feststellte – vom Typ des autoritären schwarzafrikanischen Mannes: Mit der kleinen Rosa versorgte er den Haushalt, er schickte sie in die Schule und war ihr sogar ein liebevoller Ansprechpartner bei ihrer ersten Menstruation. Ihre Mutter, zu der sie später zog, war eine typisch namibisch-afrikanische Frau: arm, mit vielen Kindern und einer großen Verwandtschaft, aber stark und pfiffig, mit ausgeprägtem Gemeinschaftsempfinden und klaren Gerechtigkeitsvorstellungen.
Mutter und Vater sind prägend für den Lebensweg Rosas. Den Kampf um Gerechtigkeit und mehr Menschlichkeit nimmt sie auf, als sie als Krankenschwes-ter in einem Windhoeker Krankenhaus der Apartheid mit ihren Konsequenzen für kranke und hilflose Menschen begegnet. Diesen Kampf verliert sie. Sie schafft es nicht, sich gegen die Machtstrukturen im Krankenhaus zu behaupten. Doch Rosa gibt nicht auf, sie sucht Gleichgesinnte. Diese findet sie bei Mitgliedern der damals verbotenen Befreiungsbewegung Swapo. Sie wird Mitglied und schon bald mit der ihr eigenen Konsequenz politische Aktivistin. "Die Swapo wurde meine Familie, meine Heimat, meine Identität", erinnert sich Rosa Namises. "Ich begann Versammlungen zu organisieren, Parteimitglieder zu werben und Pamphlete der Swapo zu verteilen."
Rosas Begeisterung und furchtloses Engagement hat Folgen. Sie wird verhaftet, verbringt zwei Monate in Einzelhaft, muss Entwürdigung und Drohungen, auch gegen ihre Familie, ertragen. Ein mitfühlender Polizist bringt ihr nachts heimlich einen Stift und einen Fetzen Papier, damit sie Notizen machen kann. Der Mangel an Papier zwingt sie zu "verdichten", was sie zu sagen hat: Sie schreibt ihr erstes Gedicht. Seitdem nutzt sie die therapeutische Kraft der Sprache. "Auf den langen Fahrten zu Parteiversammlungen habe ich angefangen, meiner verstorbenen Mutter zu erzählen, was aus mir geworden ist. Jetzt fange ich an, diese Gespräche aufzuschreiben."
Nach einer weiteren Verhaftung 1985 verliert Rosa ihre Arbeit im Krankenhaus. Weit davon entfernt, wie ein weiblicher Michael Kohlhaas stur und realitätsfern um ihre Rechte zu kämpfen, aber auch weit davon entfernt zu resignieren oder die Schuld auf andere zu schieben, gibt Rosa ihren Traum einer Krankenschwesterkarriere auf und streckt ihre Fühler neu aus. Die Katholische Kirche, die ihr zu der Zeit ein äußerer und innerer Anker ist, bietet ihr einen Job als Entwicklungshelferin auf dem Lande an, und Rosa greift zu. Sie lernt die ländliche Bevölkerung Namibias kennen, vor allem auch den Kampf der Frauen ums Überleben. Schnell gewinnt sie das Vertrauen und die Herzen auch der armen Männer und Frauen.
In dieser Zeit trifft Rosa den Freiheitskämpfer Ben Ulenga, der 1984 aus dem Gefängnis Robben Island in Südafrika entlassen worden ist. Sie lernen sich kennen und lieben, gemeinsames politisches Engagement schweißt sie zusammen. Selbstverständlich geht Rosa davon aus, dass der Freiheitskämpfer Ben auch in der persönlichen Beziehung gegen autoritäres Verhalten und Ungleichheit ist, immerhin hatte sie in ihrem Vater ein nachahmenswertes Beispiel. Leider muss sie bald feststellen, wie schwierig es ist, in der Beziehung zwischen Mann und Frau die Theorie in die Praxis umzusetzen.
Als Rosa 1987 mit dem zweiten Kind schwanger wird, ist sie nicht bereit, dem Wunsch der Kirche zu entsprechen und den Vater ihres Kindes, der immer weniger ihrem Bild eines Partners entspricht, zu heiraten. Als die Kirche daraufhin Rosa aus dem Arbeitsverhältnis entlässt, entlässt Rosa die Kirche aus ihrem Leben. "Mit einer derart selbstgerechten Organisation wollte ich nichts mehr zu tun haben – und auch meinen Glauben packte ich damals in einen Koffer", sagt sie und berichtet, wie sie sich nun ausschließlich dem Überleben ohne festen Job widmet. "Zum Glück merkte ich, dass ich mir im Laufe meines Lebens zwar kein finanzielles Polster geschaffen, aber ein soziales Netz geknüpft hatte, in das ich jetzt fallen konnte. Meine große Familie und Freunde überall halfen mir, den Kopf über Wasser zu halten."
Der Bruch mit der Kirche wirkt sich auch auf die Beziehung zur Swapo aus. Rosa wird sensibler gegenüber der Kälte und Macht großer Organisationen. Schon 1985 hat sie, zwei Tage vor der Geburt ihres ersten Kindes, als eine der ersten schwarzen Frauen in Namibia den Führerschein gemacht und sich somit ein wichtiges Stück Selbstständigkeit erkämpft. Doch genau diese Selbstständigkeit führt zu ernsten Problemen mit der Partei. Diese verlangt, die von Rosa gegründeten Frauenorganisation Namibia Women's Voice (NWV) aufzulösen, da sie die politische Schwungkraft der Swapo schwäche. "Einem Baum schneidet man auch die Zweige ab, damit er kräftiger nach oben wächst", erinnert sich Rosa an die Begründung der Partei.
Auch ihr Verhältnis zu Ben Ulenga, der inzwischen von der Partei als Gewerkschaftsführer hofiert und gefördert wird, wird problematisch. "Das autoritäre Gehabe der männlichen Swapo-Mitglieder, der Mangel an Selbstkritik, die Verwässerung der ursprünglichen Ziele unserer Freiheitsbewegung erschienen mir wie ein Verrat an den Idealen meiner Partei", sagt Rosa. 1988 beschließt sie, sich von Ben zu trennen, obwohl die zweite Tochter noch nicht geboren ist. Sie weiß, dass ein Leben allein, aber in Übereinstimmung mit ihren Vorstellungen, ihr letztlich mehr Kraft lässt, als wenn beide Partner unzufrieden sind.
Der endgültige Bruch mit der Partei lässt nicht mehr lange auf sich warten. Die Berichte über Menschenrechtsverletzungen in den Flüchtlingslagern der Swapo beginnen Rosa bis in die Träume hinein zu verfolgen. Die Unabhängigkeit Namibias 1990 erlebt sie mit gemischten Gefühlen. Als die im Exil begangenen Verbrechen öffentlich werden, die Swapo aber keine Anstalten macht, darauf in angemessener Weise zu reagieren, vollzieht Rosa Namises erneut einen schmerzvollen Bruch: 1992 tritt sie aus der Swapo aus und begibt sich damit aus der Geborgenheit einer politischen Gemeinschaft in die Einsamkeit der individuellen Entscheidungen.
"Dieses Mal überlebte ich, indem ich mich rächte", erzählt Rosa und lacht. Nicht mit Gewalt und nicht an einzelnen Menschen übt sie Rache, sondern indem sie die Chance einer Arbeit im Rechtshilfezentrum Legal Assistance Centre aufgreift, wo sie endlich – öffentlich anerkannt und medienwirksam – genau das Ziel verwirklicht, das die Swapo nach Rosas Meinung verraten hat: die Verbesserung der Menschenrechte in Namibia. Die Arbeit mit den einfachen Menschen war für sie wie ein Mittel gegen den Schmerz und die Enttäuschung.
Und 1999 rächt sie sich noch einmal: Mit der Gründung des Congress of Democrats wird ihre Vorstellung von einer neuen politischen Partei Wirklichkeit, Rosa wird eines der ersten Mitglieder. Mit ihrer Wahl ins Parlament kann sie ihre ehemaligen Parteigenossen auf demokratischer Basis herausfordern, ihnen unbequeme Fragen stellen, sie vielleicht auch durch ihr ungebrochenes, nicht korrumpiertes Engagement provozieren. Sie bleibt bescheiden und hat keinerlei Selbstinszenierung nötig, denn sie hat ein gesundes Selbstbewusst-sein. Rosa Namises bleibt einfach gekleidet, auch wenn sie in der Öffentlichkeit steht, und fährt auch keinen Mercedes. "Ich habe dadurch weniger Status, aber mehr Freunde", beschreibt sie ihre Erfahrung.
Keine Rachegefühle empfindet sie gegenüber ihrer alten Liebe und dem Vater ihrer Kinder, Ben Ulenga, dem sie im CoD als politischem Partner wiederbegegnet. Seine mutige Entscheidung, seinen Posten als Botschafter Namibias in London aufzugeben und aus der Swapo auszutreten, um eine neue Partei zu gründen, erregt neuen Respekt für den Mann, von dem sie damals auch politisch enttäuscht war.
Rosa Namises ist, wie sie sich selbst nennt, eine friedliche Rächerin ohne Bitterkeit und Hass. Wie kommt es, dass diese afrikanische Nemesis nicht zur Furie wurde? Oder müde resignierte? "Ich weiß heute, dass in mir etwas lebt, das, wie ich glaubte, durch meine Entlassung aus der Kirche zerstört worden ist. Es war aber nur verpackt – im Koffer!" Rosa Namises ist überzeugt, dass es letztlich ihre Spiritualität war, die sie nach tiefen Verletzungen immer wieder geheilt hat. Eine Spiritualität, die intellektuelle und emotionale Brüche und selbst den Bruch mit der Kirche aushalten konnte, weil sie sich ganz stark in der offenen und lebendigen Begegnung mit Mitmenschen regenerierte. Eine Spiritualität, die in dem afrikanischen Begriff ubuntu (vgl. dazu den Beitrag von Grietjie Verhoef in diesem Heft) zum Ausdruck kommt: "Ich bin, weil ihr seid, und ihr seid, weil ich bin."
aus: der überblick 01/2001, Seite 85
AUTOR(EN):
Erika von Wietersheim:
Erika von Wietersheim lebt als freie Journalistin in Namibia.