Der Preis der Korruption
Wo Korruption herrscht, wird Entwicklung behindert. Während sich Politiker, Vermittler und Beamte die Taschen füllen, leidet der Staat finanzielle Not. Notwendige Investitionen unterbleiben. Die Bürger müssen für Güter überhöhte Preise zahlen und für Dienstleistungen extra in die Tasche greifen. Am Ende kann auch die Demokratie Schaden nehmen. So hat der Afrika-Auschuss des britischen Parlaments die Folgen der Korruption beschrieben.
Nach Schätzungen der Weltbank werden jährlich weltweit Bestechungsgelder in Höhe von einer Billion US-Dollar gezahlt. Darin nicht enthalten ist die unbekannte Summe, die sich aus der Veruntreuung öffentlichen Geldes oder dem Diebstahl öffentlicher Güter durch korrupte Amtsträger ergibt. So nimmt man an, dass Präsident Mobutu Sese Seko in Zaire (im Amt von 1965-1997), der heutigen Demokratischen Republik Kongo, und Präsident Sani Abacha in Nigeria (1993-1997) jeweils etwa fünf Milliarden US-Dollar veruntreuten. Dazu sind noch die im Rahmen von "unsauberen Beschaffungspraktiken" erwirtschafteten 1,5 Billionen US-Dollar und Betrug im privaten Sektor zu rechnen. Der Umfang der Korruption zwischen Bürgern und Staatsbediensteten variiert stark und ist noch schwerer messbar. Klar ist nur, dass Korruption insgesamt enorme Ausmaße hat.
Ob Korruption im großen oder kleinen Maßstab die Kosten für die wirtschaftliche Entwicklung sind gravierend. Sie blockiert Entwicklung und schadet den Ärmsten der Armen. Sie bremst wirtschaftliches Wachstum. Die Weltbank sieht in ihr das größte Hindernis für die globale Entwicklung. In einer Untersuchung über die Investitionstätigkeit in neun afrikanischen Ländern weist sie die Korruption als größtes Investitionshemmnis aus. Wie sich Korruption auswirkt, hängt unter anderem davon ab, welcher Anteil der Einnahmen auf Auslandskonten fließt oder im Ausland ausgegeben wird. Die schädliche Wirkung der Korruption auf die Entwicklung geht weit über die verlorenen Geldbeträge hinaus; indirekte Effekte sind nicht getätigte Investitionen, eine verzögerte Entwicklung des Privatsektors und gebremstes Wirtschaftswachstum. Korruption kann sich als Hemmschuh für die Entwicklung in allen Bereichen erweisen. Das Steueraufkommen schrumpft und der Regierung fehlt dieses Geld für die Finanzierung öffentlicher Aufgaben. Die Weltbank schätzt, dass sich gute Regierungsführung und Korruptionsbekämpfung langfristig in einer "Dividende für gutes Regieren" von 300 bis 400 Prozent niederschlagen. Bei guter Regierungsführung seit der Unabhängigkeit würde heute das Pro-Kopf-Einkommens manch eines Staates das Drei- bis Vierfache betragen und Armutsindikatoren wie die Kindersterblichkeit wären wesentlich geringer. Weiteren Schätzungen zufolge fällt das jährliche Wirtschaftswachstum als Folge der Korruption um zwei bis vier Prozent geringer aus.
Die Hauptlast tragen die Armen. Öffentliche Dienste korrodieren, die Kosten der Leistungsbereitstellung explodieren. Nach dem Jahresbericht 2005 der nichtstaatlichen Organisation (NGO) Transparency International über die Wasserversorgung in Afrika ist Bestechung in diesem Sektor so verbreitet, dass sie fast zwei Drittel der Betriebskosten ausmacht. Diese Zusatzkosten tragen die Verbraucher. Manche Leistungen werden schlichtweg nicht erbracht. Gerade die Armen sind am meisten auf öffentliche Dienste angewiesen und am schlimmsten betroffen, wenn diese ausfallen, zu teuer sind oder schlecht funktionieren. Auch die Konsumgüterkosten steigen aufgrund von Korruption, in manchen Fällen um bis zu 20 Prozent. Solche Kosten verschlingen große Teile des Einkommens armer Familien.
Bei Korruption auf unterer Ebene erwarten Staatsbedienstete Schmiergelder auch von kleinen Leuten. Bei den Armen ist aber der Anteil am Einkommen, der für Bestechung verwendet werden muss, höher. Nach Untersuchungen von Transparency International in Kenia beliefen sich 2002 die durchschnittlichen Monatsausgaben für Bestechung hier als "Bestechungssteuer" bezeichnet auf 52 US-Dollar, und das in einem Land, in dem das durchschnittliche Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf in den letzten zehn Jahren 500 US-Dollar pro Jahr nicht überschritten hat. Erfreulicherweise fiel diese Zahl 2003 auf 16 US-Dollar, obwohl die durchschnittliche Höhe der geforderten Bestechung stieg.
Eine der direkten Auswirkungen der Korruption auf die gewerbliche Wirtschaft ist der Anstieg der Investitionskosten. Durch wiederholte Korruptionszahlungen steigen auch die Betriebskosten, so dass die Ertragskraft sinkt. Zudem erhöht sich das unternehmerische Risiko, da die Gültigkeit von Vereinbarungen, die auf illegale Weise zustande kommen, fraglich ist. Und selbst auf korrekt getroffene Vereinbarungen kann man sich nicht wirklich verlassen, wenn einem Amtsträger von anderer Seite ein besseres Angebot gemacht wird. Produktkosten können durch Korruption um bis zu 20 Prozent steigen. Einer zu Beginn dieses Jahres veröffentlichten Studie des Forschungsinstituts Diageo zufolge kann sich Korruption auf ausländische Direktinvestitionen ähnlich auswirken wie eine zusätzliche Steuer von 20 Prozent als Abschreckung für Investoren und als Schmälerung von Gewinnmargen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) schätzt, dass Korruption das Investitionsvolumen um fünf Prozent verringert. Laut dem Korruptionsforscher Shang-Jin Wei kann eine Zunahme der Korruption um einen Punkt im Korruptionsindex zu einer Abnahme ausländischer Investitionen um bis zu acht Prozent führen. Negativ wirkt sich Korruption auch auf die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes auf den internationalen Märkten aus.
Kleinere Unternehmen leiden darunter mehr, weil sie einen höheren Anteil ihrer Einnahmen für Bestechungszahlungen aufbringen müssen. Wo Auftragsvergaben an hohe Schmiergelder gekoppelt sind, können sie mit größeren Firmen nicht mithalten. Im afrikanischen Kontext kann das zu einer Wettbewerbsverzerrung zu Lasten heimischer Unternehmen führen, die in der Regel kleiner sind als ihre ausländischen Konkurrenten. Das Wachstum des inländischen Unternehmenssektors wird verlangsamt und ausländische Investoren schrecken vor Investitionen in diesen zurück.
Die potenziellen Wirkungen der Korruption auf demokratische Prozesse sind nicht messbar. Doch kann sie demokratische Systeme aushebeln, wenn sie in höchsten Regierungsebenen verbreitet ist und die Grundstrukturen öffentlicher Dienste aushöhlt.
Korruption ist ein globales Problem. Eine Regierung, die ihr Land für vollkommen frei von Korruption hält, macht sich und ihrem Volk etwas vor. Afrika jedoch hat sich in Bezug auf korrupte Praktiken einen besonders schlechten Namen gemacht. Regierende wie Präsident Mobutu von Zaire und Abacha von Nigeria gehörten zu den berühmtesten Kleptokraten der Welt. Der ganze Kontinent leidet unter diesem schlechten Leumund, der das Vertrauen der Wirtschaft und ihre Bereitschaft zu Investitionen schmälert. Im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International findet dieses schlechte Image seinen Niederschlag. Von den zwanzig Ländern, die im Index am schlechtesten abschneiden, liegen zehn in Afrika.
Die nigerianische Kommission zur Bekämpfung der Wirtschafts- und Finanzkriminalität schätzt, dass allein in Nigeria zwischen 1960 und 1999 etwa 320 Milliarden Euro von den jeweils Regierenden des Landes gestohlen oder zweckentfremdet wurden und ein Großteil dieses Geldes ins Ausland transferiert wurde. Diese Summe entspricht in etwa dem Betrag der internationalen Hilfe, die in vier Jahrzehnten in den gesamten Kontinent geflossen ist. So erklärt sich auch, warum das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen in Nigeria 2002 auf ein Viertel des Höchststands, den es Mitte der siebziger Jahre erreicht hatte, und unter das Niveau zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit fiel, obwohl Nigeria eines der rohstoffreichsten Länder der Welt ist und seit Mitte der siebziger Jahre Öl-Einnahmen in Höhe von rund 300 Milliarden US-Dollar verzeichnet hat. Auch wenn die Verluste in rohstoffärmeren Staaten vielleicht niedriger ausfallen, kann der Schaden dennoch immens sein. Laut einer Studie der NGO Front Against Corrupt Elements in Tanzania dürfte der jährliche Verlust durch Korruption fast genauso hoch sein wie die gesamten jährlichen Steuereinnahmen des Landes.
Unter schwachen Regierungen hat Korruption bessere Chancen. Die schwachen Regierungen und das Fehlen institutioneller Strukturen in einigen afrikanischen Ländern haben zur Ausbreitung der Korruption beigetragen. Diese hat ihrerseits wiederum für die anhaltende Schwäche von Regierungen und Institutionen gesorgt. Länder in Postkonflikt-Situationen und davon gibt es in Afrika einige konzentrieren sich mit Recht auf die Schaffung von Sicherheit. Aber auch solche Initiativen werden durch Korruption torpediert. Transparency International kommt in ihrem Jahresbericht zu dem Ergebnis, dass in der Demokratischen Republik Kongo nur drei Prozent der staatlichen Aufträge im Rahmen ordnungsgemäßer Ausschreibungsverfahren vergeben werden. Informelle Absprachen öffnen der Korruption Tür und Tor.
Afrika leidet auch deswegen besonders, weil die Einnahmen aus der Korruption häufig außerhalb des Kontinents angelegt oder ausgegeben werden, weil sie dort sicherer sind. Kapitalflucht ist Afrikas größtes Finanzproblem. Nach Schätzungen der Afrikanischen Union werden dem Kontinent durch Korruption jährlich 148 Milliarden US-Dollar entzogen. Das ist ein Viertel des afrikanischen Bruttoinlandsproduktes. Dem amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler Raymond Baker zufolge belaufen sich die illegalen Einnahmen aus Korruption, Gewerbe und Verbrechen, die aus Afrika abfließen, auf 100 bis 200 Milliarden US-Dollar. Daneben nehmen sich die Hilfen und Schuldenerleichterungen für Afrika verschwindend gering aus.
Baker fasst dies treffend zusammen: Die Europäische Union (EU) hat "Afrika in den letzten Jahren rund 25 Milliarden US-Dollar Auslandshilfe pro Jahr zukommen lassen. Vergleichen wir das mit den 100 bis 200 Milliarden US-Dollar, die nach meiner Schätzung illegal aus Afrika transferiert werden und letztlich in den Tresoren westlicher Länder landen. Mit anderen Worten: Für jeden Dollar Auslandshilfe, den wir generös über dem Tisch vergeben, nehmen wir unter dem Tisch vier bis acht Dollar schmutzigen Geldes zurück." Erschwerend kommt hinzu, dass ein Großteil des illegalen Geldes dem Kontinent auf Dauer entzogen wird Schätzungen zufolge fließen 80 bis 90 Prozent dieses Geldes nicht nach Afrika zurück. Außerdem sollen afrikanische politische Eliten Geld in einer Größenordnung von 700 bis 800 Milliarden US-Dollar auf Konten außerhalb des Kontinents deponiert haben.
Korruption umfasst auch Veruntreuung. Formen der Veruntreuung sind unter anderem Mitteltransfers an nichtexistierende Unternehmen, Scheingeschäfte oder Geschäfte zu unangemessenen Preisen. Schätzungsweise bis zu sechzig Prozent der Handelsabschlüsse mit Afrika werden zu Preisen getätigt, die um durchschnittlich elf Prozent vom echten Marktpreis abweichen, was eine jährliche Kapitalflucht von mehr als zehn Milliarden US-Dollar bedeutet. Hinzu kommen schätzungsweise 150 bis 200 Milliarden US-Dollar, die in Scheingeschäfte fließen.
Zwischen Großkorruption und kleiner Alltagskorruption muss allerdings ein Unterschied gemacht werden. Großkorruption bedeutet Korruption in großem Ausmaß, in der Regel durch hochrangige Amtsträger oder Politiker. Sprichwörtlich war sie in den Kleptokratien Afrikas: In Zaire unterschied Mobutu kaum zwischen seinen persönlichen Bankkonten und denen des Staates und benutzte letztere, um zahlreiche Villen in Europa und Afrika zu kaufen und einen Lebensstil in kaum vorstellbarem Luxus zu finanzieren. In Nigeria war eine ganze Reihe Staatsführer schamlos korrupt. In Kenia gab es den Goldenberg-Skandal, der das Land in nur drei Jahren mit der stillschweigenden Duldung führender Politiker und Amtsträger um 600 Millionen bis eine Milliarde US-Dollar erleichterte. Viele weitere Beispiele aus Afrika und anderen Kontinenten ließen sich anführen und leider sind die Beispiele von Diebstahl in großem Stil nicht auf verstorbene oder ihres Amtes enthobene afrikanische Führer beschränkt. Mit erschreckender Regelmäßigkeit sickern Informationen aus Ländern wie Äquatorialguinea, Kenia, Angola und der Republik Kongo, woraus wir schließen müssen, dass das Zeitalter des "großen Mannes" noch lange nicht vorbei ist.
Die Kleinkorruption bedeutet Korruption in kleinerem Maßstab, wenn etwa Zollbeamte, Polizisten und Staatsbeamte für die Erfüllung oder je nach Sachlage Nichterfüllung ihrer Pflichten Geld verlangen. Kleinkorruption hat viele Ursachen, unter ihnen Straflosigkeit und niedrige Löhne. Ist in einer Organisation Korruption eingezogen, dann wird es auch für die, die sich nicht korrupt verhalten möchten, schwierig, ihren Prinzipien treu zu bleiben. Auch von ihnen wird unter Umständen erwartet, dass sie Bestechungsgelder annehmen und einen Teil dieser Einnahmen an ihre Vorgesetzten weitergeben. Wenn diese Kleinkorruption endemisch wird, sind ihre Auswirkungen alles andere als geringfügig. Sie kann alle anderen Strukturen und Systeme des öffentlichen Geschäftsverkehrs aus den Angeln heben. Die Menschen gehen davon aus, dass sie bestechen müssen, es gibt inoffizielle Richtlinien über die Bestechungshöhe und Korruption wird integraler Bestandteil des Systems.
In Zaire teilte Präsident Mobutu seinem Parteitag mit, dass Diebstahl in kleinem Maßstab akzeptabel sei solange er inoffiziell bleibe. In Kamerun soll die Polizei ihre Löhne regelmäßig dadurch aufgebessert haben, dass sie Taxifahrer für vermeintliche Verkehrsdelikte zur Kasse bat. Dabei wurden zum Teil haarsträubende Gründe angeführt, etwa das Fahren mit "doppelter Windschutzscheibe", wenn Fahrer eine Brille trugen.
Schließlich traten die Taxifahrer 2004 in einen Streik, nicht etwa aus Protest gegen die Tatsache, dass sie Polizisten so viel Bestechungsgeld zahlen mussten, sondern weil sich nicht alle Polizisten an die allgemein akzeptierten Tarife hielten.
aus: der überblick 02/2006, Seite 10
AUTOR(EN):
Afrika-Ausschuss des britischen Parlaments
Auszug aus dem Bericht The other Side of the
Coin - The UK and Corruption in Africa vom
März 2006.
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