Geld kann Tränen trocknen
Zwar gibt es in Südafrika formelle Wege, mittels großer Versicherungsgesellschaften finanzielle Hilfen für Begräbniskosten zu erhalten. Doch besonders arme Afrikaner treten informellen Vereinen bei. Diese Begräbnisvereine leisten ihren Mitgliedern wichtigen finanziellen und emotionalen Beistand in Notsituationen. Sie richten sich nach den wirtschaftlichen Lebensbedingungen ihrer Mitglieder und werden beeinflusst von traditionellen Elementen, wie der großen Bedeutung der Verwandtschaftsbeziehungen, der Ehrfurcht vor dem Alter und der Ahnenverehrung.
von Karen Rebel
Rosinah war gänzlich unvorbereitet, als vor zehn Jahren plötzlich ihre Mutter starb: "Das war eine sehr schwierige Zeit für mich, denn ich hatte kein Geld." Rosinah ist geschieden. Die 47-jährige Hausangestellte verdient weniger als 900 Rand (etwa 99 Euro) im Monat. Als Mutter von drei Kindern war sie ohnehin kaum in der Lage, das Nötigste für die Familie aufzubringen, und als ihre Mutter starb, hatte für das Begräbnis kein Geld übrig. Sie musste sich etwas leihen und erbetteln, um ein bescheidenes Begräbnis bezahlen zu können. Bis heute leidet sie darunter, dass sie nicht imstande war, ihre Mutter anständig zu beerdigen.
Seither ist Rosinah in einem Beerdigungsverein, dessen 40 Mitglieder alle in der selben Gegend wohnen. Am ersten Sonntag jedes Monats zieht sie die Uniform ihres Vereins an, um an der monatlichen Sitzung teilzunehmen. Dort zahlt sie auch ihre 35 Rand Mitgliedsbeitrag. Mit dieser Summe werden die Bestattungskosten für sie und ihre Kinder und auch für weitere Familienmitglieder gedeckt. Von Vereinsmitgliedern wird erwartet, dass sie bei Beerdigungen von Mitgliedern oder deren Verwandten anwesend sind und mithelfen. Obwohl das viel von ihrer wertvollen Freizeit verschlingt, macht es Rosinah nichts aus, denn "sie werden mir helfen, wenn das nötig wird", ist sie sich sicher. Als im August 2002 ihre Schwester starb, war Rosinah dank der Unterstützung durch ihren Bestattungsverein in der Lage, für ein anständiges Begräbnis zu sorgen. Der Bestattungsverein organisierte das Begräbnis, übernahm die Kosten für die Aussegnungshalle, kaufte den Sarg und stellte Bargeld zur Verfügung, um Essen für die Trauergäste zu kaufen. Er besorgt auch den Ochsen, der bei solchen Gelegenheiten rituell geschlachtet werden muss. Die Frauen halfen bei der Zubereitung des Leichenschmauses.
In ganz Südafrika gibt es viele solcher Beerdigungsvereine. Sie leisten Leuten wie Rosinah den nötigen finanziellen, emotionalen und praktischen Beistand. Es ist allgemein üblich, dort Mitglied zu werden. Tausende von Vereinsmitgliedern zahlen Millionen Rand an Monatsbeiträgen. Die Vereine spiegeln wider, wie sich Menschen, die von der Gesellschaft in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht an den Rand gedrängt werden, ihrer Lage anpassen.
Bestattungsvereine sind im Wesentlichen eine Antwort auf die Lebensumstände von Stadtbewohnern und Migranten. Sie sind wahrscheinlich zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden, als infolge der Goldfunde im Witwatersrand die Wanderarbeit aufkam. Für die Bergwerke wurden große Mengen ungelernter Arbeiter benötigt. Afrikanische Männer zogen zur Lohnarbeit in die Städte. Die Frauen und Kinder blieben auf dem Land zurück, wo sie ein Zuhause aufrechterhielten, wohin die Männer nach Ablauf ihres Vertrages zurückkehren konnten. Da die Arbeit im Bergwerk gefährlich war, besonders in den Anfangsjahren, starben viele Minenarbeiter. Gruppen von Bergleuten, die im allgemeinen aus der selben Gegend stammten, trafen informelle Absprachen, falls einer von ihnen in der Stadt stürbe, würden die anderen einen bestimmten Beitrag leisten, um seine Leiche nach Hause transportieren zu lassen. Auf diese Weise stellten die Bergleute sicher, dass sie in der Heimat ihrer Väter bestattet werden würden und nicht in irgend einem städtischen Armengrab. Diese Absprachen beruhten nur auf einer Vertrauensbasis, denn die Beteiligten schlossen keinen schriftlichen Vertrag. Mit der Zeit bildeten sich formellere Vereine heraus, deren Mitglieder schriftliche Vereinbarungen schlossen und regelmäßig in den gemeinsamen Fonds einzahlten.
Heute gibt es in ländlichen ebenso wie in städtischen Gegenden solche Vereine. Ihre Mitgliedschaft beschränkt sich nicht auf Wanderarbeiter, sondern umfasst Menschen aus allen Lebensbereichen. Männer und Frauen können Mitglied werden, aber heute sind es überwiegend Frauen. Das liegt daran, dass in immer mehr Familien Frauen die einzigen Ernährer sind.
Auch die Beerdigungen haben sich in Folge der Verstädterung gewandelt. Da die Familien im allgemeinen in unterschiedliche Landesregionen verstreut sind, ist es schwieriger geworden, auf die Unterstützung zurückzugreifen, die früher im Rahmen von Verwandtschaftsbeziehungen gewährt wurde. Schwarze Südafrikaner betrachten eine Beerdigung als Abschiedsparty für den Verblichenen und als eine letzte Gelegenheit, die gesellschaftliche Stellung des Verstorbenen herauszustreichen. Zu Beerdigungen gehen nicht nur Angehörige, Freunde und Bekannte, jeder darf hingehen und geht hin, auch wenn er den Verstorbenen nur flüchtig oder gar nicht gekannt hat. Es ist nicht ungewöhnlich, dass eine große Zahl von Trauergästen in Bussen zu einer Beerdigung gebracht wird. Je mehr Leute zur Beerdigung kommen, desto deutlicher wird der soziale Rang des Dahingeschiedenen hervorgehoben. Es ist auch üblich, dass die Anwesenden den Hinterbliebenen etwas spenden, gemäß ihrem Status und ihren Möglichkeiten zwischen 50 Cents und 50 Rand. Das bezeichnet man als "das Geld, das die Tränen trocknet", und es wird genau Buch geführt über die Namen der Spender und den gespendeten Betrag. Denn es wird erwartet, dass die Gabe erwidert wird, wenn der Spender einmal in die gleiche Lage kommt.
Beerdigungen finden im allgemeinen an Wochenenden statt und beginnen mit einer Totenwache im Haus des Verstorbenen, die ab Freitag oder Samstag abend die ganze Nacht dauert. Dabei wird viel gesungen und gebetet. Am Morgen begeben sich die Trauernden zur Beerdigung auf den Friedhof. Dann kehren sie zum Haus zurück und erfreuen sich an einer gemeinsamen warmen Mahlzeit. Es wird vermutet, dass ein solcher Leichenschmaus den vielen Arbeitslosen in den townships und auf dem Land recht gelegen kommt. Üblicherweise wird ein großes Festzelt im Hof aufgestellt, in dem alle Platz finden. Das Essen wird vom frühen Morgen an über offenem Feuer im Hof gekocht. Der soziale Druck, dass man ausreichend Essen anbieten muss, ist groß. Wenn jemand dazu nicht in der Lage ist, kann er ins Gerede kommen: "Der Soundso hat nicht einmal genug zu essen", und die betroffene Familie gerät damit in ein schlechtes Licht.
Die Entwicklung geht dahin, dass die Beerdigungen immer aufwändiger werden, mit kostspieligen Leichenwagen, schicken Särgen und einem Mietwagen, in dem die Familie zum Friedhof und zurück fahren kann. Auch wer die ständig steigenden Kosten und die Verschwendung von Nahrungsmitteln, die oft mit solchen Beerdigungen verbunden ist, unangemessen findet, kann sich kaum dem sozialen Druck entziehen, das zu zelebrieren, was als "anständiges" Begräbnis für einen lieben Angehörigen gilt.
Für solche Beerdigungen ist also viel Arbeit und Geld nötig, sie können die Hinterbliebenen zwingen, sich auf Dauer zu verschulden. So fungieren die Bestattungsvereine als Netzwerke gegenseitiger Hilfe, die ihren Mitgliedern nicht nur die unverzichtbare finanzielle Hilfe bieten, sondern auch eine wichtige gesellschaftliche Rolle spielen.
Die Größe dieser Vereine ist unterschiedlich, es gibt sehr große mit mehreren hundert und kleinere mit nur fünf oder sechs Mitgliedern. Trotz der Unterschiede funktionieren die Bestattungsvereine alle ähnlich. Die Mitglieder treffen sich gewöhnlich einmal im Monat, um ihren Beitrag zum gemeinsamen Fonds zu leisten. Die Teilnahme an der Versammlung ist Pflicht, wer nicht erscheint, muss womöglich ein Bußgeld zahlen. Wer verhindert ist, kann allerdings einen Vertreter schicken. Die Sitzungen, besonders der größeren Vereine, sind sehr förmliche Angelegenheiten. Den Mitgliedern kann für Fehlverhalten ein Strafgeld auferlegt werden, wenn sie etwa Lärm machen, zu spät kommen oder die falsche Uniform tragen. Mit diesem Geld werden Töpfe, Besteck, Stühle und andere Utensilien gekauft, die für eine Beerdigung gebraucht werden.
Der Mitgliedsbeitrag variiert zwischen 10 und 50 Rand monatlich und wird auf einem Sparkonto eingezahlt, das der Verein bei einer Bank unterhält. Die Vereine arbeiten nicht gewinnorientiert. Die Mitglieder beteiligen sich aktiv an der Verwaltung ihres Vereins und sind nach demokratischem Prinzip mit einbezogen in die Entscheidungen. Die meisten Vereine haben einen gewählten Vorstand aus Vorsitzenden, einem Sekretär und einem Kassierer, die Protokoll führen, nach Bedarf Geld zur Bank bringen oder abheben und sonstige Verwaltungsangelegenheiten erledigen. Diese Ämter hat nie ein einzelner inne, sondern zwei oder drei Personen gemeinsam, um so Unterschlagungen zu erschweren. Bei jeder Sitzung werden die Transaktionen des Vereins offengelegt. Da ein großer Teil der Mitglieder Analphabeten oder Halbanalphabeten sind, ist gegenseitiges Vertrauen besonders wichtig.
Das soll nicht heißen, dass Betrug und Diebstahl nicht vorkommen. Es gibt reichlich Geschichten von Leuten, die sich mit dem Geld ihres Vereins davongemacht haben und nie wieder gesehen wurden. Deshalb vermeiden es Bestattungsvereine oft, zu groß zu werden, weil das die Kontrolle erschweren würde.
Die Mitgliedschaft von Bestattungsvereinen ist im allgemeinen auch recht stabil: Es gibt einen Kern von Gründungsmitgliedern, die in der selben Gegend wohnen, Arbeitskollegen oder irgendwie verwandt sind. Neue Mitglieder müssen gewöhnlich von jemandem vorgestellt werden, der schon Mitglied ist, das ist sicherer.
Wer in einen Verein eintritt, nennt die Namen von acht Menschen, für die die Sterbeversicherung gelten soll. Für sie alle wird nur ein Beitrag bezahlt. Die Namen werden in einem Buch eingetragen. Normalerweise handelt es sich um die Kinder oder den Ehemann des Mitglieds, Eltern oder Enkel. Außer diesen Verwandtschaftsgraden können beliebige sonstige Verwandte als Begünstigte benannt werden, in der Regel handelt es sich dabei um solche mit finanziellen Problemen wie etwa Arbeitslose.
Die Leistungen der Bestattungsvereine sind unterschiedlich. Sie werden bei der Gründung des Vereins festgelegt und in der Satzung festgehalten. Alle Erwachsenen erhalten die selben Leistungen, für das Begräbnis eines Kindes gibt es etwas weniger. Kleine Vereine decken die zuerst anfallenden Kosten, so den Transport des Mitglieds in seine Heimatregion und die Fahrtkosten anderer Mitglieder zum Begräbnis, und sie helfen bei den Vorbereitungen. Vielleicht erhält das hinterbliebene Mitglied auch einen kleinen Bargeldbetrag, um Lebensmittel kaufen zu können.
Größere Vereine übernehmen die Kosten für das Leichenschauhaus, die Miete für den Leichenwagen, den Sarg und den Transport von Trauergästen. Sie zahlen auch für das Tier, das rituell geschlachtet wird und sorgen für die sonstige Verköstigung der Trauergäste mit Tee, Maismehl, Zucker und Gemüse. Manche Vereine stellen Zelte, Stühle, Kochtöpfe, Teller und andere Dinge, die man für eine Beerdigung braucht, zur Verfügung. Das Mitglied erhält auch einen Bargeldbetrag zwischen 500 und 4000 Rand.
Ein Mitglied kann seinen Unterstützungsanspruch verlieren, wenn es mit seinem Beitrag mehr als drei Monate im Rückstand ist. Die meisten Vereine sind allerdings sehr gnädig, zahlen für die Beerdigung und ziehen den geschuldeten Beitrag vom auszuzahlenden Bargeld ab. Darin zeigt sich, dass die Bestattungsvereine auf die Lebensumstände ihrer Mitglieder Rücksicht nehmen, die oft keinen sicheren Arbeitplatz haben und zeitweise nicht in der Lage sind, ihren Beitrag zu zahlen. Wer allerdings zu lange im Rückstand ist, wird persönlich zurechtgewiesen. Das zeigt, wie wichtig in diesem Kontext Gespräche und persönliche Kontakte sind und wie grundlegend sich die Bestattungsvereine von dem oft unpersönlichen Agieren kommerzieller Lebensversicherungen unterscheiden.
Neben der finanziellen Unterstützung spielen Bestattungsvereine auch eine wichtige soziale Rolle im Leben ihrer Mitglieder. Obwohl sie die Unterstützung durch Verwandtschaftsbeziehungen nicht ganz ersetzen, sind sie doch oft die erste Adresse, bei der man in Notsituationen um Hilfe bittet. Es wird erwartet, dass die Mitglieder sich gegenseitig helfen und sie sind verpflichtet, zur Beerdigung anderer Mitglieder zu gehen. Sie helfen bei der Zubereitung und dem Servieren von Mahlzeiten und machen hinterher sauber. Sie nehmen auch die ganze Nacht an der Totenwache teil und trösten die Hinterbliebenen.
Die Mitgliedschaft in Bestattungsvereinen verleiht auch beträchtliches Prestige. Es ist üblich, dass jemand in mehr als einem Bestattungsverein ist, gewöhnlich einem kleineren, der aus Freunden und Kollegen besteht, und einem größeren. Je mehr Vereine bei einer Beerdigung sichtbar anwesend sind, kenntlich an ihren Uniformen, desto positiver wirkt sich das auf das Ansehen des Verstorbenen aus. Man ist stolz darauf, Mitglied eines Bestattungsvereins zu sein, erst recht, wenn man Gründungsmitglied oder Vorstand ist. Die Vereine geben ihren Mitgliedern das Gefühl, dazuzugehören und etwas wert zu sein. Die Mitglieder erwähnen oft stolz den Kassenstand, über den ihr Verein verfügt. Wo allgemeine Armut herrscht, nährt das auch das Selbstwertgefühl der Mitglieder.
Die Bestattungsvereine passen sich gut an die Lebensumstände ihrer Mitglieder an und unterscheiden sich darin von formelleren Versicherungsformen westlichen Zuschnitts. Man kann diese Vereine als eine Art informelle Versicherung betrachten, die nicht reguliert oder registriert ist und weitgehend auf der Grundlage gegenseitigen Vertrauens funktionieren.
Bestattungsvereine sind Netzwerke gegenseitiger Unterstützung, die von Armen für Arme entwickelt wurden. Abgesehen von der wichtigen ökonomischen Unterstützung, die sie bieten, haben die Vereine auch eine wichtige Rolle im Leben städtischer Migranten, die von Familie und Freunden getrennt sind.
aus: der überblick 02/2003, Seite 95
AUTOR(EN):
Karen Rebel:
Karen Rebel lehrt als "Junior Lecturer" in der Fakultät für Anthropologie, Archäologie Geographie und Umweltwissenschaften an der "University of South Africa" (Unisa), Pretoria, Südafrika.