Ohne Verbesserung der Regierungsführung wird Entwicklungsarbeit wenig Erfolg haben. Deshalb setzen sich die Kirchen in Sierra Leone für demokratische Werte und Verfahren ein, erklären Sahr Kemoore Salia und Florella Hazeley. Salia ist der Generalsekretär des Kirchenrats in Sierra Leone (Council of Churches in Sierra Leone, CCSL), Hazeley dessen Beauftragte für Anwaltschafts-Arbeit. Sie hat für den CCSL den Beitrag der Kirchen Sierra Leones zur Beobachtung der jüngsten Wahlen koordiniert.
Gespräch mit Sahr Kemoore Salia und Florella Hazeley vom Kirchenrat Sierra Leones
Sind dies die ersten Wahlen, die der CCSL beobachtet?
Hazeley: Nein. Die ersten demokratischen Wahlen nach über 20 Jahren fanden 1996 statt. Schon damals hat der CCSL etwa 1500 lokale und 12 internationale Wahlbeobachter gestellt. Auch 2002 haben wir an der Beobachtung mitgewirkt. Dies ist das dritte Mal, wir haben wieder über 500 lokale und insgesamt 18 internationale Beobachter im Feld.
Warum beteiligt sich der der CCSL an Wahlbeobachtung?
Hazeley: Der CCSL ist traditionell in Entwicklungsarbeit engagiert. Wir haben gemerkt, dass es hier keinen Fortschritt geben kann, wenn die Regierungsführung nicht verbessert wird. Sonst wird es immer wieder zu Krisen und Aufständen kommen. Man baut Schulen, man baut Kirchen, und sie werden niedergebrannt. Diese Erfahrungen haben uns davon überzeugt, dass wir auch in die demokratische Entwicklung des Landes investieren müssen. So begannen wir, Wahlbeobachtungen durchzuführen. Wir haben dann jedoch schnell begriffen, dass Demokratie nicht nur darin besteht, Wahlen abzuhalten. Der demokratische Prozess muss vertieft werden, deshalb macht der CCSL heute auch Anwaltschafts-Arbeit.
Wie hängt die Wahlbeobachtung mit den anderen Programmbereichen zusammen?
Salia: Unsere Bemühungen um die Demokratisierung Sierra Leones sind eng mit der Friedensarbeit und den Entwicklungsanstrengungen verknüpft. Der friedliche Ablauf einer Wahl ist ja nicht nur wichtig, um zu glaubhaften Ergebnissen zu kommen. Ein friedlicher Ablauf des Wahlkampfes und der Wahlen hilft außerdem, den Frieden insgesamt zu festigen.
Hazeley: Das Anwaltschafts-Programm besteht aus zwei Komponenten: Einerseits wenden wir uns an die Zivilgesellschaft, andererseits an Entscheidungsträger. Wir versuchen gesellschaftliche Gruppen in die Lage zu versetzen, Machtmissbrauch zu erkennen und damit gewaltfrei umzugehen. Als zum Beispiel Mitte 1999 der Friedensvertrag von Lomé unterzeichnet war, haben wir über seine wichtigsten Bestimmungen informiert und darüber, wie die Bürgerinnen und Bürger von ihnen profitieren können. Heute begleiten wir die Anhörungen der Wahrheitskommission und informieren die Menschen über die Verfassung Sierra Leones, damit sie Vertrauen zur neuen Ordnung fassen und begreifen, dass man eine Regierung abwählen kann und nicht zu den Waffen greifen muss, um sie zu stürzen. Gleichzeitig versuchen wir, auf die Gesetzgebung einzuwirken. Wir beobachten, was das Parlament macht. Und wir führen Seminare und Diskussionen durch, um dazu beizutragen, dass die Parlamentarier die Regeln akzeptieren und ihren Rechenschaftspflichten nachkommen.
Wie sieht die Aufgabenteilung zwischen dem CCSL und den Kirchen aus?
Salia: Der CCSL fungiert im Grunde als eine Art Sekretariat. Die praktische Arbeit wird von den einzelnen Kirchen geleistet. Unsere Aufgabe in Freetown ist es, zu koordinieren und die Arbeit vor Ort zu unterstützen. So läuft das jetzt auch bei der Wahlbeobachtung: Die Kirchen sind auf allen Ebenen beteiligt und stellen auch die Mitglieder der entsprechenden, von Florella geleiteten Arbeitsgruppe. Hazeley: Allerdings ist unsere Aufgabe auch eine politische und unsere Trainings sind auch für unsere Kirchenführer gedacht. Früher sollten Kirche und Politik nichts miteinander zu tun haben. Doch im Laufe der Zeit haben wir alle gelernt, dass wir uns in das politische Geschehen einmischen müssen, wenn wir etwas für die Menschen erreichen wollen. Das heißt aber keinesfalls, Partei für eine politische Gruppierung zu ergreifen.
Salia: Für mich gehört Anwaltschaft zum kirchlichen Auftrag. Dieser hat nach meinem Verständnis drei Dimensionen: Da ist die pastorale Dimension, dass man den Menschen Gott nahe bringt. Während des Krieges hatte dies besondere Bedeutung. Dann gibt es diakonische Aspekte des kirchlichen Auftrags. Wir haben uns um Vertriebene gekümmert, um Menschen, die Hilfe brauchen, und in Krankenhäusern gearbeitet kurz, Nächstenliebe praktisch umgesetzt. Schließlich aber enthält der kirchliche Auftrag auch eine prophetische Dimension. Die Propheten in der Bibel haben die Könige kritisiert, wenn diese sich Exzessen hingegeben und ihre Macht missbraucht haben. Sie haben klar gemacht, dass Gott dieses Verhalten nicht billigt.
Hazeley: Ein Glaube, dem keine Taten folgen, ist tot. Erst betet man, dann unternimmt man etwas.
Im Vorfeld der Wahlen hatten viele Menschen Befürchtungen. Einige haben ihre Familien außer Landes gebracht, viele Händler aus Angst vor Plünderungen keine größeren Importe mehr getätigt. Wie schätzen Sie den Verlauf der Wahlen ein?
Hazeley: Wir alle haben ja gesehen, dass es ruhig geblieben ist. Abgesehen vom verspäteten Beginn in einigen Wahllokalen entsprach auch die technische Qualität des Urnengangs internationalen Standards. Meiner Meinung nach waren auch im Wahlkampf keine Diskriminierungen gegen die Opposition zu beobachten. Alle Parteien hatten die Chance, ihre Position ungehindert deutlich zu machen, und erstmals hatten alle Parteien auch Zugang zu allen wichtigen Medien.
Salia: Die Befürchtungen, die einige vorher hatten, haben sich glücklicherweise als grundlos erwiesen. Wir sind sehr zufrieden mit dem Verlauf der Wahlen. Ich habe selbst zwölf Wahllokale in Freetown und Umgebung besucht. Die Atmosphäre war sogar friedfertiger als bei den Wahlen 2002. Damals waren noch die UN-Soldaten im Land und man sah viele Gewehre. Das war dieses Mal anders. Ich habe nur zwei oder drei Polizisten mit Gewehren gesehen. Diese Erfahrung wird helfen, Vertrauen zu unserem eigenen Sicherheitsapparat zu schaffen.
Worauf wird der CCSL künftig mehr Gewicht legen? Was ist jetzt zu tun?
Hazeley: Nun wird eine neue Regierung gebildet. Unabhängig davon werden wir erstens mit Staatsbürgerkunde für Wähler und Wählerinnen nicht bis 2011 oder 2012 warten. Wir müssen das noch stärker betonen, damit insbesondere die vielen jungen Leute sich für die nächsten Wahlen registrieren lassen. Dieses Jahr waren ein Viertel der Menschen, die ihre Stimme abgegeben haben, Erstwähler.
Zweitens hatten wir meiner Meinung nach immer noch zu viele ungültige Stimmen. Die Analphabetenrate in Sierra Leone ist extrem hoch, da müssen wir etwas tun. Und drittens müssen wir den demokratischen Prozess mit Inhalt füllen. Wir müssen die Leute dabei unterstützen, dem Parlament genau auf die Finger zu schauen. Wenn wir schlechte Regierungsführung und Korruption überwinden wollen, muss die Zivilgesellschaft dafür gut gerüstet sein. Deshalb bin ich auch dafür, dass die kirchlichen Hochschulen Anwaltschaft und Lobby-Arbeit offiziell in ihre Lehrpläne aufnehmen. Bisher gibt es nur vereinzelte Seminare zu dem Thema.
Salia: Auch der Bericht der Wahlbeobachter des All-Afrikanischen Kirchenrates betont, wie wichtig eine breit angelegte Staatsbürgerkunde in unserer Situation ist. Ich möchte die Weiterbildung der Wählerinnen und Wähler nicht darauf beschränken, dass sie lernen, wie sie eine gültige Stimme abgeben können. Die Leute müssen über die grundlegenden Probleme des Landes Bescheid wissen. Sie müssen lernen, was sie von einer Regierung erwarten können und was nicht und wie sie auf lokaler Ebene Druck machen können, damit sich etwas bewegt. Hier kann die Kirche staatliche Bildungsinstitutionen ergänzen.
Dazu müssen wir zunächst unsere Kommunikationsfähigkeiten und -instrumente ausbauen. Das gilt auch nach innen: Viele Pastoren müssen noch überzeugt werden, dass Einmischung und lebendige Teilhabe an der gesellschaftlichen Entwicklung auch politisches Engagement beinhaltet.
aus: der überblick 04/2007, Seite 109
AUTOR(EN):
Die Fragen stellte Uwe Kerkow
Uwe Kerkow ist freier Journalist mit Schwerpunkt
Afrika in Bonn. Er hat beim ersten Wahlgang
in Sierra Leone für den EED die Wahlbeobachtung
des lokalen Kirchenrats unterstützt.